Artikel: Rheinische Post vom 20.03.2025, Lokalredaktion Kleve, Andreas Gruhn
Der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat bei einem Gastvortrag vor Schülern und Soldaten im Kreis Kleve dazu aufgerufen, Deutschland müsse mit wenigen europäischen Partnern einen eigenen Schutz vor Aggressoren aufbauen. Wie der frühere CSU-Politiker das deutsch-amerikanische Verhältnis sieht und warum die Wiederwahl Trumps der „notwendige Tritt in unseren bräsigen europäischen Hintern“ ist.
Am Abend des Tages, an dem der Bundestag für die Aufrüstung der Bundeswehr Hunderte Milliarden locker macht und dafür das Grundgesetz ändert, an dem US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin über Wa!enruhe in der Ukraine telefoniert, am Abend eines wahrlich historischen Tages also spricht der frühere Bundesverteidigungsminister KarlTheodor zu Guttenberg bei einem Besuch im Kreis Kleve über die Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht und nukleare Teilhabe Deutschlands als Abschreckung für Aggressoren. Guttenberg war jener Verteidigungsminister, in dessen kurzer Amtszeit die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. „Aber nicht abgescha!t. Ich habe damals die Wehrpflicht ausgesetzt, weil wir sie über Jahre verkrüppelt haben“, wie er am Dienstagabend in Goch in der Schule Collegium Augustinianum Gaesdonck betont.



Als Gast der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, des Air Component Command Kalkar und des Collegium Augustinianum Gaesdonck warb Guttenberg am Dienstagabend vor 700 Gästen in Goch, darunter Soldaten, Politiker und Schüler, für eine neue Dienstzeit junger Erwachsener. Diese solle dann aber nicht mehr wie zuletzt nur noch sechs Monate dauern, sondern ein Jahr. „Gerade in Zeiten, in denen wir als Gesellschaft bedroht sind, kann es Sinn haben, den Zusammenhalt in der Gesellschaft dadurch zu stärken, dass junge Menschen ein Jahr lang etwas für dieses Land tun. Ob das im Rahmen eines Dienstes bei der Bundeswehr ist oder im anderen Rahmen, das lässt sich au!ächern.“
Guttenberg rief dazu auf, dass Deutschland mit Partnern in Europa, vor allem Frankreich, dringend in kurzer Zeit selbst bereit sein müsse, für die eigene Sicherheit zu sorgen. Die erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sei der dazu „notwendige Tritt in unseren bräsigen europäischen Hintern“: „Wir haben es uns in unserer eigenen Abhängigkeit gemütlich gemacht. Diese Welt ist aber nicht mehr so sicher, wie wir sie in unseren Traumvorstellungen ausgemacht haben. Das war sie schon 2014 und wohl auch schon davor nicht mehr. Wir haben unsere Sicherheit über Jahre genossen – auf Kosten der Amerikaner.“ Trump sei nicht der erste US-Präsident gewesen, der mehr deutsches Engagement in der Nato gefordert habe. Er habe es nur so getan, dass es nicht mehr überhört werden könne.
Für Guttenberg gehört dazu auch eine nukleare Komponente als Form der Abschreckung. Eine nukleare Aufrüstung sei in Deutschland illusionär, aber „eine nukleare Teilhabe ist alles andere als absurd, nur müssen wir uns dann auch finanziell beteiligen“. Frankreich ist in dieser Frage der wohl wichtigste Partner. Dies werfe dann aber auch viele Fragen auf, etwa wer entscheide über den potenziellen Einsatz oder auch nur die Drohung von nuklearen Wa!en. Für Guttenberg ist aber klar: „Mit einer zelebrierten Appeasement-Politik wird man Aggressionen nicht abhalten können. Der russische Angri! in der Ukraine hat gezeigt, dass es einem Machthaber wie Putin himmelschreiend egal ist. Man wird Expansionsdrang nicht mit friedlichen Mitteln widerstehen.“



Guttenberg betonte, ein solches Vorgehen sei nicht mit der gesamten EU machbar. Es müsste nun kleinere „Kraftfelder“ geben, die ähnlich wie bei der Einführung des Euro vorangehen. Frankreichs Präsident Macron sei dabei eine treibende Kraft. Nun müsse Deutschland willens und fähig sein, Mitverantwortung für Europa zu übernehmen. „Unser Zeitfenster beträgt zwei Jahre, so lange ist in Frankreich Macron Präsident. Dann haben wir möglicherweise Le Pen.“ Daher habe auch die Zeit für die Abstimmung vom Dienstag im Bundestag so sehr gedrängt. Der Schritt sei richtig gewesen, über Stilformen des wohl künftigen Kanzlers Friedrich Merz könne man streiten: „Aber es kann kein Festklammern an der Schuldenbremse geben.“
Eigentlich war das Thema des Abends das transatlantische Verhältnis, das Kerninteresse der Deutschen Transatlantischen Gesellschaft. Angesichts des aktuellen völlig unterkühlten deutsch-amerikanischen Verhältnisses, in dem die Deutschen den Amerikanern schlichtweg gleichgültig geworden seien (Guttenberg: „Das ist das Schlimmste.“), drohe die einladende Gesellschaft eine Vereinigung zur Vermarktung romantischer Träume zu sein. „Das wünsche ich Ihnen nicht, aber die Gefahr besteht.“ Guttenberg kritisierte die deutsche Haltung, sich stets des Schutzes der USA gewiss zu sein, aber gleichzeitig mit erhobenem Zeigefinger genörgelt zu haben, über Jahre scharf: „Wenn etwas nicht lief, wie wir uns das vorgestellt haben, sind wir unseren US-Freunden mit dem nackten Hintern ins Gesicht gesprungen.“



Der frühere Verteidigungsminister, der nach seinem Rücktritt zehn Jahre in den USA lebte, hat in dieser Zeit „gemerkt, wie eine der ältesten Demokratien der Welt begann, sich auszuhöhlen. Als ich zurück nach Deutschland kam, stellte ich fest, dass wir uns auf einem sehr ähnlichen Weg befinden“, mahnte er mit Blick auf antidemokratische Kräfte und auseinanderdriftende Gesellschaften.
Generalleutnant Thorsten Poschwatta, Kommandeur des Air Component Command in Kalkar, hatte nach Schuldirektor Markus Oberdörster den Gast begrüßt mit den Worten: „Das ist ein Thema, das aktueller nicht sein kann. Europa muss selbstständig werden und bereit sein, ohne die USA selbst für seine Sicherheit zu sorgen.“