Ein Bericht von: Christian Lipicki/ Björn Boening/ Martin Langhorst Mirjan Schulz Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS)
Die Zukunft der NATO unter der Ägide des neuen US-Präsidenten Donald Trump stand im Mittelpunkt des diesjährigen „NATO Talk around the Brandenburger Tor“. In der hochkarätigen Konferenz mit mehreren hundert Teilnehmern wurde insbesondere deutlich: Für ihre Sicherheit müssen die Europäer in den nächsten Jahren wohl deutlich mehr zahlen
„Natürlich hat das Ergebnis der US-Wahl auch Auswirkungen auf die NATO“, sagte der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Dr. Karl-Heinz Kamp, in seiner Ansprache auf der Veranstaltung „NATO 4.0 – eine neue NATO für neue Herausforderungen?“ Kamp weiter: „Trump wird offensichtlich eine stärker auf Isolation gerichtete Politik verfolgen.“ Er warnte gleichzeitig vor zu großer Sorge: „Trump wird die Mehrheit seiner Anhänger enttäuschen.“ Längst nicht jedes Wahlversprechen lasse sich umsetzen. Die NATO, so der BAKS-Präsident, sei wieder in der Artikel-5-Welt angekommen. „Abschreckung braucht reale Substanz.“
Britischer Botschafter: Wir verlassen die EU, nicht Europa
Das Vorstandsmitglied der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V., Generalleutnant a.D. Jürgen Bornemann, wies darauf hin, dass „die Rolle Deutschlands in der NATO neu zu beleuchten“ sei. Als Grund dafür nannte er die US-Wahl, aber auch die zahlreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen, wie das Verhältnis Russland-NATO, den so genannten Islamischen Staat und den Brexit, also den angekündigten Ausstieg Großbritanniens aus der EU.
Der Botschafter des Königsreichs Großbritannien und Nordirland, Sir Sebastian Wood, der dritte Kooperationspartner des aktuellen NATO Talk, wies darauf hin: „Unser Land verlässt die EU, aber nicht Europa.“ Ziel Großbritanniens sei mehr europäische Sicherheit und nicht weniger. Zur NATO sagte er, dass sie mehr denn je gebraucht werde und sich in der künftigen Ausrichtung darauf konzentrieren müsse, relevant und effektiv zu bleiben.
NATO bleibt Eckpfeiler europäischer Sicherheit
Ein Highlight der Veranstaltung war der Auftritt des Abteilungsleiters Außen‑, Sicherheits- und Entwicklungspolitik im Bundeskanzleramt, Dr. Christoph Heusgen. Mit Blick auf die US-Wahl und deren Ausgang machte er deutlich, dass nichts so heiß gegessen werde, wie es gekocht wurde. Die NATO sei der Grundpfeiler der westlichen Sicherheitspolitik. Zugleich müsse die europäische Komponente weiterentwickelt werden. Es wurde deutlich, dass für Verteidigung mehr finanzielle Mittel eingesetzt werden müssten.
In der anschließenden Diskussionsrunde „NATO nach vorne gedacht“ sagte der Beigeordnete Generalsekretär für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung der NATO, Horst-Heinrich Brauß, zum Ausgang der US-Wahl: „In Brüssel herrscht gespannte Erwartung, aber auch professionelle Gelassenheit.“ Und er fuhr fort: „Trump hat einen Punkt: Europa muss mehr in Verteidigung investieren.“ Das wollte Dr. Tobias Lindner in dieser Grundsätzlichkeit nicht stehen lassen. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen und Mitglied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages, schränkte ein: „Erst muss klar sein, wer trägt welche Verantwortung im Bündnis. Dann wird es auch um Geld gehen.“
Nouripour: Nähe Trump zu Putin ist Game Changer
Trump hatte im Wahlkampf mit kritischen Aussagen gegen die NATO für massive Gegenwehr, insbesondere aus Europa, gesorgt. Der Generaldirektor des Internationalen Militärstabs der NATO, Generalleutnant Jan Broeks, relativierte diese Wahlkampf-Aussagen: Das sei zu viel Spekulation. Broeks hob unterdessen den NATO-Russland-Rat als wichtiges Gesprächsforum hervor. Lindner ergänzte, reden schade nie. Dann wisse man, was die verschiedenen Akteure denken.
In der nächsten Diskussion, dem „Transatlantik Talk“ zu den US-Wahlen wurde ebenfalls engagiert über die Folgen des amerikanischen Führungswechsels auf die internationale Politik gesprochen. Der Grüne-Bundestagsabgeordnete und außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, Omid Nouripour, unterstrich, dass die Nähe von Trump zu Putin ein Game Changer, also ein „Spielwechsler“, für das internationale Umfeld sei. Der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, General a.D Dr. Klaus Naumann, regte an, man müsse Konzepte möglichst eng mit Trump gemeinsam erarbeiten, dann würde man auch nicht überrascht werden.
„Russland nicht unterschätzen“
Dem Verhältnis zwischen Abschreckung und Dialogbereitschaft widmete sich das Forum „Russland und der Westen“. James Appathurai, Stellvertretender Beigeordneter Generalsekretär der NATO, stellte klar: „Stärke ist die Basis für einen Dialog“. Das Verhalten Russlands in Georgien und auf der Krim zeige ein beunruhigendes Muster, dass Moskau die territoriale Integrität anderer Staaten nicht respektiere. Man sei jedoch zuversichtlich, dass Russland langfristig wieder zu den Prinzipien der NATO-Russland-Grundakte zurückkehren werde, begründete der NATO-Offizielle die beständige Dialogbereitschaft der Allianz.
Hans-Peter Hinrichsen, Referatsleiter im Auswärtigen Amt, warb für einen Dreiklang mit Russland: Zunächst müsse die Tatsache, dass Russland nicht mehr als Partner anzusehen sei, „gemanaged“ werden; hierzu zählten Transparenzaufbau, Deeskalation und Kontaktbereitschaft. Darüber hinaus müsse die eigene Resilienz gestärkt werden. Schließlich hält er begrenzte Kooperation in Bereichen mit gleichen Interessen weiterhin für sinnvoll, so z. B. in der Rüstungskontrolle. „Gerade in schwierigen Zeiten brauchen wir vertrauensbildende Maßnahmen dringender als je zuvor“, betonte Hinrichsen.
Andrey Kortunov, Generaldirektor der Russischen Gesellschaft für Internationale Beziehungen, beschuldigte hingegen den Westen der „Heuchelei“. Die Umsetzung des Minsker Abkommens als Voraussetzung für einen Sanktionsabbau liege nicht allein in Moskaus Macht – wie es die NATO darstelle -, insbesondere die Ukraine hintertreibe das Abkommen. Kontunov warnte in diesem Zusammenhang vor einer „Unterschätzung der sozialen Resilienz in Russland“ – Sanktionen würden dadurch ihren Zweck verfehlen. Vom künftigen US-Präsidenten erwarte man ein deutlich zurückhaltenderes Auftreten im Nahen Osten, skizzierte er ferner die russische Sicht auf Trump.
Deutsch-britische Zusammenarbeit: „Sharing common values“
Den „Perspektiven der deutsch-britischen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich“ widmete sich das letzte Panel. Wie sieht die Zukunft der Militärkooperation beider Staaten angesichts des Brexits aus? Die bestehende Kooperation habe Modellcharakter, der weit über den bilateralen Rahmen hinausgehe, waren sich die Panelisten einig. Angesichts der kommenden Austrittsverhandlungen forderte Will Jessett, Direktor für strategische Planung im britischen Verteidigungsministerium, die rasche Stärkung der militärpolitischen Zusammenarbeit.
Generalleutnant Karl Müllner hingegen erwartet lediglich geringe Auswirkungen auf die Praxis: „Die negativen Folgen des Brexits sind als gering einzuschätzen“, so der Luftwaffen-Inspekteur. „Die deutsch-britische Zusammenarbeit stützt sich vor allem auf NATO-Strukturen“. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit die militärische Kooperation durch die Brexit-Anstrengungen beeinträchtigt wird.
James de Waal vom Londoner Think-Tank Chatham House forderte die Vertiefung der strategischen Partnerschaft. Deutschland und Großbritannien sollten stärker voneinander lernen. So attestierte er Deutschlands internationaler Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen sogar Vorbildcharakter und schloss optimistisch: „Strategic co-operation between Great Britain and Germany is easy, because we share common values.“
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