Die diesjährige NATO Talk Konferenz unter dem Motto »Globale Zeitenwende« fand am 10. November im Auditorium Friedrichstraße statt. Über die Jahre hat sich der NATO Talk, den die Deutsche Atlantische Gesellschaft zusammen mit der Bundesakademie für Sicherheitspolitik organisiert, zu einem hoch anerkannten Forum für Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt.
Gegliedert in drei Themenblöcke näherten sich die Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Militär sich der Frage, was die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene »Zeitenwende« eigentlich ist und welche Auswirkungen sie in der NATO und für die EU-Staaten haben wird.
Eröffnung durch Staatsminister Dr. Tobias Lindner MdB
Der inhaltliche Teil des NATO Talks 2022 startete mit einer Keynote von Dr. Tobias Lindner MdB, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Anschließend hatten zwei Vorstandmitgliedern der Jungen DAG/ YATA Germany die Möglichkeit, Fragen an den Staatsminister zu stellen, der die Wichtigkeit der Zeitenwende aus der Sicht der Bundesregierung betonte. Mit Nachdruck legte Lindner dar, welche Konsequenzen sich für Deutschland und seine Partnerstaaten aus der Zeitenwende ergeben hätten:
»Das ist ein großer Begriff: Zeitenwende. Wenn ich international spreche, übersetze ich ihn schon gar nicht mehr. Es geht jetzt darum, aus dem Begriff ein politisches Programm zu machen. Zeitenwende muss sich damit beschäftigen, dass wir unsere Streitkräfte so ausstatten, dass wir unseren Bündnisverpflichtungen nachkommen und dass die Streitkräfte ihren Auftrag erfüllen können. Aber wir würden deutlich zu kurz springen, wenn wir die Zeitenwende irgendwie auf 100 Mrd. verkürzen.«
Staatsminister Dr. Tobias Lindner MdB
Die Zeitenwende als Herausforderung für die globalen Sicherheitsarchitektur
Der Sprecher für Krisenprävention der CDU/CSU Fraktion, Roderich Kiesewetter MdB führte mit seiner Strategischen Einordnung in den ersten Themenblock »Russland, China und der Westen – Eine neue Blockkonfrontation?« ein. Sein erklärtes Ziel war es, mit drei Narrativen aufzuräumen, die die Politik Deutschlands vor dem Krieg in der Ukraine maßgeblich bestimmt hätten. Die Narrative sind, dass Deutschland von Freunden und Partnern umgeben sei, dass, um dies zu ermöglichen, Deutschland auf billige Sicherheit (USA), Wertschöpfung (China) und Energie (Russland) angewiesen sei und dass »Wandel durch Handel, Annäherung und Verflechtung« der richtige Weg sei, um China und Russland an westliche Werte anzunähern.
Seine absichtlich kontrovers formulierte Rede war ein perfekter Einstieg in die anschließende von Theresa Winter moderierte erste Paneldiskussion des Tages. An deren Ende kamen die Panelisten zu teils gemeinsamen, teils auch unterschiedlichen Schlüssen: Den Begriff der »Blockkonfrontation« wie er im Titel vorschlagen ist, lehnte ISPK-Direktor Prof. Dr. Joachim Krause entschieden ab. Für neue Konflikte bräuchte es auch neue Begriffe. Der Konflikt sei nämlich einer zwischen autoritären und demokratischen Systemen – auch im Inneren, so die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband. Für die Lösung dieser Probleme bräuchte es deshalb neue Strategien. Mit einer persönlichen Geschichte machte die China-Korrespondentin der SZ Lea Sahay sich dafür stark, nicht alle Brücken abzubrechen, sondern die wichtigen, vor allem wissenschaftlich-intellektuellen Kontakte (zum Beispiel im Medizinischen Bereich) aufrecht zu erhalten und zu fördern. In einer Welt der Konfrontation, die jetzt für alle Realität geworden sei, ohne dass der demokratische und globale Westen sich das ausgesucht habe, müsse und werde Deutschland eine wichtige Rolle spielen, ob es dies wolle oder nicht, mahnte der Leiter des German Marshall Fund Büros in Waschau Michal Baranowski.
Entscheidend ist, wie die NATO reagiert
Einem weiteren hochaktuellen Thema widmete sich die Konferenz nach der Mittagspause mit einem Interview zu den US-Midterm Wahlen am 08. November. Die Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke Julia Friedlander teilte ihre Einschätzung zu den Ergebnissen mit dem interessierten Publikum. Ein Fokus lag dabei auf den Auswirkungen für Sicherheits- und Außenpolitik in Europa.
Der zweite Themenblock »Call for Action – Die NATO inmitten der Zeitenwende«, den Generalmajor Jörg See vom International Staff der NATO mit seiner Strategischen Einordnung eröffnete, widmete sich den zentralen strategischen Veränderungen bei der NATO im Anschluss an den Gipfel in Madrid und mit Ausblick auf den Nächsten in Vilnius 2023.
Auf dem von BAKS Vizepräsident Dr. Patrick Keller moderierten Panel diskutierten neben Generalmajor See, Janne Kuusela vom Finnischen Verteidigungsministerium und die lettische Botschafterin Alda Vanaga. Die Warteschlange vor dem Mikrofon für die Publikumsfragen darf als eindeutiges Zeichen für das große Interesse an der Expertise der Panelgäste gewertet werden.
Was bedeutet die Zeitenwende für die Europäische Union?
Der kurzfristige Ausfall der Parlamentarischen Staatssekretärin im BMVg Siemtje Möller MdB für die Strategische Einordnung des letzten Panels hat der für die Konferenz federführend verantwortliche Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß angemessen ausgeglichen. Zum Thema »Zeitenwende auf europäisch – wohin zeigt der Kompass?« moderierte die Journalistin Cosima Gill im Anschluss die Debatte zwischen Dr. Jan Jireš aus dem Tschechischen Verteidigungsministerium, dem SPD-Obmann des Auswärtigen Ausschusses Dr. Nils Schmid MdB und dem zugeschalteten Brookings Institution-Fellow Dr. Daniel S. Hamilton.
Ein letztes Highlight war die spannende inhaltliche Zusammenfassung und Einordnung durch den ehemaligen Deutschen Botschafter in Washington Dr. Klaus Scharioth. Eines wurde immer wieder klar: Deutschland ist keine Insel und bleibt als Teil der westlichen Wertegemeinschaft darauf angewiesen, tatkräfitg an der Verteidigung der Freiheit mitzuwirken!
Die Deutsche Atlantische Gesellschaft bedankt sich bei allen, die moderiert und mitdiskutiert haben; ebenso wie dem engagierten Publikum, das vor Ort und online zahlreiche Fragen gestellt und so zu den wichtigen Debatten beigetragen hat. Ein besonderer Dank geht auch an Ann Cathrin Riedel, die durch ihre hervorragende Tagesmoderation sowohl die Präsenzgäste als auch die Onlineteilnehmerinnen und ‑teilnehmern einbinden und durch das gesamte Programm geführt hat.
Ganz besonders gefreut haben wir uns über das zahlreiche Erscheinen von über 120 Vertreterinnen und Vertretern von Hochschulen und sicherheitspolitisch interessierten Jugendgruppen, die die Konferenz mit ihren Fragen zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben. Wir sehen uns beim NATO Talk 2023!