Januar 2022. Hunderte Tote, tausende Verletzte, mehr als 10.000 Verhaftungen im Hort der Stabilität in Zentralasien: Kasachstan. In den Straßen russische Panzer, das politische Schwergewicht, der ehemalige, langjährige Präsident Nur-Sultan Nasarbajew, von entscheidenden Positionen abgesetzt. Unter der Erde große Mengen Öl, Gas und Seltene Erden.
Die Ereignisse in den ersten Wochen des Jahres kamen überraschend, sind bislang noch schwer in ihrer ganzen Abfolge und ihrem Ausmaß zu überblicken, Augenzeugenberichte unterscheiden sich erheblich voneinander, doch wir versuchen eine Einordnung mit Dr. Beate Eschment, Expertin für Zentralasien und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Osteuropa und internationale Studien in Berlin (ZOiS).
Äußerst aggressive und bewaffnete Gruppierungen haben in der ersten Januar-Woche offensichtlich die zunächst friedlichen Demonstrationen gegen hohe Benzin-Preise und Korruption unterwandert. Aber war diese Aktion von langer Hand geplant, oder ist sie spontan entstanden? Welche Gruppierungen stehen im Einzelnen dahinter? Welche Rolle spielt der superreiche Nasarbajew-Schwiegersohn Kulibajew, welche der Prediger und Nasarbajew-Neffe Satylbaldi, der angeblich perspektivlose, junge Muslime aus den südlichen Provinzen mit Geld und Energy-Drinks zur Randale in Almaty verführt haben soll? Wer profitiert davon?
„Der Nasarbajew-Clan ist der Verlierer, der noch neue Präsident Tokajew ist der Gewinner, daraus würde ich aber nicht schließen, dass Tokajew dahintersteckt«. Das passe einfach nicht zu seinem gesamten Lebenslauf und Auftreten, so die Einschätzung von Dr. Beate Eschment im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt.
Auch die Liste der innenpolitischen Aufgaben von Präsident Tokajew ist lang: Sozioökonomische Fortschritte, Überwindung der Spaltung zwischen Nord und Süd, Einführung echter Wahlen. Eschment ist überzeugt, Tokajew wird nur ein Übergangspräsident Kasachstans sein – in einer Region, in der die großen Player nicht die USA und Europa, sondern Russland und China sind.