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Ein Beitrag von Heinrich Brauß und Jana Puglierin, zuerst erschienen bei Zeit Online.
Deutschland will sich Russland gegenüber robust verhalten. Doch um dabei glaubwürdig zu sein, muss die Bundesregierung mit eigenen Truppen die Nato-Verteidigung stärken, schreiben Jana Puglierin und Heinrich Brauß. Puglierin ist Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations, Brauß war Generalleutnant der Bundeswehr und von Oktober 2013 bis Juli 2018 beigeordneter Generalsekretär der Nato für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung.
Die Sicherheitsinteressen unserer mittel- und osteuropäischen Partner sind den Parteien der Ampel-Regierung besonders wichtig. Jedenfalls, wenn man ihren Koalitionsvertrag zugrunde legt, der in den Abschnitten zur Nato und zu Russland explizit auf sie verweist. Im Nato-Teil heißt es: »Vor dem Hintergrund der fortbestehenden Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und Europas nehmen wir die Sorgen insbesondere unserer mittel- und osteuropäischen Partnerstaaten ernst, bekennen uns zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials und wollen die Dialoganstrengungen der Allianz fortsetzen.«
Nun haben die Verbündeten an der Nato-Ostflanke derzeit allerdings nicht den Eindruck, dass ihre Sorgen in Berlin tatsächlich gehört werden. Vielmehr lässt die deutsche Haltung im aktuellen Russland-Konflikt sie daran zweifeln, ob die neue Regierung es mit der »glaubhaften Abschreckung« auch wirklich ernst meint.
Viele Alliierten sind sich der Haltung Deutschlands nicht sicher
Angesichts des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine und den Forderungen nach einer De-facto-Rückabwicklung der Nato-Osterweiterung seit 1997 haben Kanzler und Außenministerin in den letzten Wochen vor allem gesagt, was alles nicht geht: Die Bundesregierung will selbst keine Waffen an die Ukraine liefern. Gleichzeitig hält sie die Lieferung von estnischen Haubitzen (die ursprünglich aus DDR-Beständen stammen) an Kiew auf. Gemeinsam mit einer Reihe anderer Staaten verweigerte sie dem Saceur, also dem militärischen Oberbefehlshaber der Nato in Europa, die Zustimmung, mit der Notfallplanung für den Fall eines Angriffs auf das Bündnisgebiet zu beginnen. Dabei ist glaubwürdige Verteidigungsvorsorge die Hauptaufgabe der Nato und gerade für unsere östlichen Nachbarn aus offensichtlichen Gründen jetzt von größter Bedeutung.
Dazu kommt, dass die Bundesregierung, zumindest in den Augen vieler Mittel- und Osteuropäer, deutlich zu lange gebraucht hat, um die Aufgabe der Nord-Stream-2-Pipeline im Falle eines weiteren russischen Angriffs auf die Ukraine eindeutig als Sanktionsinstrument zu benennen. Zwar betonen Bundeskanzler und Außenministerin immer wieder, dann mit »harten Sanktionen« reagieren zu wollen. Doch sicher sind sich viele unserer Alliierten der Haltung Deutschlands nicht. Ihr Eindruck von Berlin: zu wenig, zu spät – statt Entschlossenheit, Engagement und Führung.
Hinter der deutschen Position steht das Bemühen, gegenüber Russland, wie es in Berlin derzeit heißt, »gesprächsfähig« bleiben und es daher zu vermeiden, Wladimir Putin zu »provozieren«. Darüber vernachlässigt die Bundesregierung jedoch das, was sie sich selbst so deutlich in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, nämlich die Sorgen und die Bedrohungswahrnehmung unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarn. In Warschau, Tallin und Riga, aber auch in Stockholm, London und Washington, D. C., fragen sich inzwischen viele, was sie von Berlin zu erwarten haben. Die New York Times brachte diesen Eindruck auf den Punkt und titelte: »Wo steht Deutschland im Ukraine-Konflikt? Seine Alliierten wundern sich.«
Nach der rechtswidrigen Annexion der Krim 2014 durch Russland hat sich Deutschland sehr für die Wiederbelebung der dualen Nato-Strategie eingesetzt: eine Politik der Stärke verbunden mit Dialogangeboten an Moskau. Die Bundesregierung hat wesentlich dazu beigetragen, die Verteidigungsfähigkeit der Allianz zu erhöhen, vor allem zugunsten unserer östlichen Verbündeten. Der deutsch geführte multinationale Gefechtsverband in Litauen ist dafür das sichtbarste Beispiel.
Putins Ziele sind eine Gefahr für ganz Europa
Das von Außenministerin Baerbock immer wieder bemühte Motto von »Dialog und Härte« gegenüber Russland ist auch heute richtig. Derzeit geht es um die Sicherheit der Ukraine. Aber Putins Ziele sind eine Gefahr für ganz Europa. Er will, dass die Nato ihre Truppen hinter die Linien vom Mai 1997 zurückzieht, also raus aus Polen, den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, Rumänien, Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Seine Streitkräfte stehen nun auch in Belarus. Der Westen muss Moskaus Strategie mit demonstrativer Solidarität und Entschlossenheit begegnen.
Wie nach 2014 sollte die Bundesregierung jetzt dazu beitragen, Gesprächskanäle nach Moskau offenzuhalten und die russische Führung zur Deeskalation zu bewegen. Sie sollte aber gleichzeitig auch alles tun, um selbst zur weiteren Stärkung und Glaubwürdigkeit der Nato und des Bündniszusammenhalts führend beizutragen.
Der Sicherheit unserer Verbündeten im Osten muss unser Hauptaugenmerk gelten, nicht der Rücksichtnahme auf Putin. Etliche Verbündete stärken mit Kampfflugzeugen die Überwachung des Luftraums im Baltikum und in der Schwarzmeerregion. Die USA haben sich entschlossen, ihre militärische Präsenz im Osten des Bündnisgebiets zu erhöhen. 1.700 Soldaten und Soldatinnen sollen nach Polen entsandt werden, 1.000 weitere bereits in Deutschland stationierte Soldaten sollen nach Rumänien verlegt werden. Zusätzlich halten sie 8.500 Soldaten und Soldatinnen für die schnelle Eingreiftruppe der Nato bereit. Die britische Regierung erwägt, ihre Truppen in Estland und Polen zu verdoppeln. Frankreich ist bereit, ein Truppenkontingent nach Rumänien zu verlegen.
Deutschland sollte sich daher jetzt für eine gemeinsame Initiative der vier zur weiteren Verbesserung der Nato-Verteidigung einsetzen und selbst mit einer deutlichen Verstärkung seiner Battlegroup in Litauen dazu beitragen. Und die Bundesregierung sollte dies jetzt ankündigen.
Germany Needs to Step Up Its Assistance to NATO Allies
An article by Heinrich Brauß and Jana Puglierin, first published on Internationale Politik quarterly.
The German government’s main focus should be on the security of its Central and Eastern European allies—not consideration for Putin.
The security interests of its Central and Eastern European partners are particularly important to the new German coalition of the Social Democrats (SPD), the Greens, and the Free Democrats (FDP). That, at least, is what they declared in their coalition agreement, which explicitly refers to these interests in the sections on NATO and Russia. The NATO section states, »Against the backdrop of the continuing threat to the security of Germany and Europe, we take the concerns of our Central and Eastern European partners particularly seriously, are committed to maintaining a credible deterrent potential, and want to continue the alliance’s dialogue efforts.«
However, the allies on NATO’s eastern flank do not have the impression that their concerns are actually being heard in Berlin. Rather, Germany’s stance in the current Russian conflict leaves them doubtful as to whether the new government is really serious about »credible deterrence.«
In view of the Russian troop buildup on the border with Ukraine and the demands for a de facto reversal of NATO’s enlargement since 1997, Chancellor Olaf Scholz and Foreign Minister Annalena Baerbock in recent weeks have said what is not possible: the German government does not want to supply Ukraine with weapons itself. At the same time, it is blocking the delivery of Estonian howitzers (originally from former East Germany’s National People’s Army) to Kyiv. Together with a number of other countries, it refused to allow SACEUR, NATO’s Supreme Commander in Europe, to begin contingency planning (for defense in the event of an attack on alliance territory). Yet credible defense preparedness is NATO’s primary mission and, for obvious reasons, is now of paramount importance, particularly for our eastern neighbors.
Too Little, Too Late
In addition, the German government has taken far too long, at least in the eyes of many Central and Eastern Europeans, to expressly include the Nord Stream 2 pipeline in the sanction package in the event of another Russian attack on Ukraine. True, the German chancellor and foreign minister repeatedly emphasize that they would then respond with »tough sanctions.« But many of our Allies are not sure of Germany’s position. Their impression of Berlin? Too little, too late—instead of resolve, commitment, and leadership.
The German position is predicated on an effort to remain »capable of dialogue« (gesprächsfähig) with Russia, as it is currently called in political Berlin, and therefore to avoid »provoking« President Vladimir Putin. However, in doing so, the German government is neglecting what it has written so clearly in its own coalition agreement, namely the concerns and threat perceptions of our Central and Eastern European neighbors. In Warsaw, Tallinn, and Riga, but also in Stockholm, London, and Washington, many are now left wondering what to expect from Berlin. The New York Timessummed this up with the headline, »Where Is Germany in the Ukraine Standoff? Its Allies Wonder.«
After Russia’s illegal annexation of Crimea in 2014, Germany worked hard to revive NATO’s dual strategy: a policy of strength combined with offers of dialogue to Moscow. The German government has been instrumental in enhancing the Alliance’s defense capabilities, particularly to the benefit of our eastern Allies. The German-led multinational task force in Lithuania is the most visible example of this.
Time to Act
Foreign Minister Baerbock’s repeated motto of »dialogue and toughness« toward Russia is also appropriate today. Right now, it is the security of Ukraine that is at stake. But Putin’s goals are a threat to all of Europe. He wants NATO to withdraw its military forces and infrastructure behind the May 1997 lines, and that means to withdraw from Estonia, Latvia, Lithuania, and Poland, as well as Romania, Bulgaria, Hungary, the Czech Republic, and Slovakia. Russia now also has forces deployed in Belarus, which are likely to stay there. The West must counter Moscow’s strategy with demonstrative solidarity and resolve.
As it did after 2014, the German government should now help to keep channels of communication to Moscow open and persuade the Russian leadership to de-escalate. At the same time, however, it should do everything in its power to make its own leading contribution to further strengthening and credibility of NATO and of Alliance cohesion.
Our main focus must be on the security of our Allies in the east, not consideration for Putin. Several Allies are strengthening NATO’s Air Policing in the Baltic and Black Sea regions with fighter aircraft. The United States has decided to increase its military presence in the eastern part of the Alliance’s territory. 2,000 US troops are to be sent to Poland and Germany, and 1,000 more soldiers already stationed in Germany are to be deployed to Romania. In addition, they are keeping 8,500 troops on standby for NATO’s Rapid Reaction Force. Meanwhile, London is considering doubling its troop numbers in Estonia and Poland. France is ready to move a force contingent to Romania. Germany should, therefore, now advocate a joint initiative of the four countries to further improve NATO’s defense and should itself contribute by significantly strengthening the German-led battlegroup in Lithuania. And the German government should announce this now.