Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

Hype, Hybris oder Hybrid?

Ausgabe 51: Christina Moritz

Warum Deutschland seine Sicherheit nicht länger von Personen abhängig machen sollte

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Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl am 4. November 2024 hält nicht nur Sicherheitsexperten in Atem. Falls Donald Trump das Rennen macht, muss Europa seinen militärischen Schutz selbst in die Hand nehmen. Mit Kamala Harris könnten die Deutschen und ihre Nachbarn ruhiger schlafen. Doch muss der Blick erst über den Atlantik schweifen, um zu erkennen, dass es nicht ratsam ist, Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Personen abhängig zu machen? Politische Entscheider kommen und gehen, militärische, klimabedingte und vor allem Cyber-Bedrohungen bleiben.

Hypeverdächtig: Lichtgestalten

Nach dem Gewese um Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg gibt es in Truppe und Bevölkerung wieder einen Hype. Das Objekt: Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius. Immer mehr Menschen im Lande verklären ihn zur Lichtgestalt, die es in Zeiten des Ukraine-Krieges schon richten werde. Dafür gibt es durchaus sachliche Gründe. Als ehemaliger Innenminister Niedersachsens weiß er, wie innere Sicherheit geht. Von da ist es aus Sicht vieler nur ein kleiner Schritt für einen, der in der Bundeswehr gedient hat, zum Dienstherrn der Streitkräfte. Im Kontext des Konzeptes vernetzter Sicherheit passt Pistorius deshalb gut ins Bild. Doch alles, was er für die Bundeswehr erreichen will – ob Wehrhaftigkeit oder Wehrpflicht – muss durch ein Nadelöhr: seine Partei, die SPD. Und als wäre diese als Showstopper, der u.a. die Ausstattung mit bewaffnungsfähigen Drohnen und eine Aufstockung des Verteidigungsetats auf das nötige, NATO-kompatible Niveau über Jahrzehnte verhinderte, nicht schon genug, muss er vermeiden, mit seiner Popularität den Groll des Bundeskanzlers heraufzubeschwören. Der Herr in Hardthöhe und Bendlerblock ist gleichwohl zum informellen Führer verdammt. Denn ihm schreibt Meinungsumfragen zufolge eine Mehrheit jene Führungskraft zu, die sie dem Kanzler abspricht. Für die Politik aus seinem Hause, dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), bedeutet das: Egal wie sinnvoll die Vorschläge zu Erneuerung und Stärkung der Bundeswehr sein mögen, sie stoßen an parteipolitische und persönliche Grenzen, liegen in der Folge deshalb häufig auf Eis und verschwinden schließlich mit Ablauf einer Legislaturperiode im Nebel der Diskontinuität.

Hybris?

Ähnlich erfolglos endete der Versuch der Außenministerin, das Konzept eines Nationalen Sicherheitsrates (NSR) für Deutschland zu usurpieren. Kanzler wie Beamte am Werderschen Markt waren wenig erpicht auf einen Egotrip, der ihrem tradierten Gestaltungs- und Machtanspruch zuwiderlief. Ob die Ministerin letztlich am Widerstand von Karrierediplomaten scheiterte, sei dahingestellt. Beseelt von den Möglichkeiten ihres Amtes bürstete sie jedenfalls kräftig gegen den Strich ihrer Partei, den Grünen, indem sie den NSR ohne deren Rückendeckung erstmals öffentlich erwähnte. Nachdenken über einen Nationalen Sicherheitsrat – eigentlich logisch für eine, die die Erstellung einer Nationalen Sicherheitsstrategie zu stemmen hatte. Es hätte ein Meilenstein für die Nationale Sicherheit der Bundesrepublik werden können. Doch das scheiterte schon daran, dass das Auswärtige Amt (AA), die Amtschefin oder beide der Hybris verfielen, sie könnten bei der Erstellung einer Nationalen Sicherheitsstrategie die Beteiligung anderer Ressorts gen Null schrumpfen und die Länder gleich ganz außen vor lassen. All dies gipfelte in einer merkwürdigen Pressekonferenz, in der die Ministerin des Auswärtigen einen Bogen ins zutiefst Innere der Bundesrepublik zu schlagen suchte. Ein Nationaler Sicherheitsrat passe nicht zu Verfassung und Föderalismus. Ob das die Österreicher, die ihren in einem föderalen System verankerten NSR derzeit aufwerten und für zusätzlichen Schutz vor Anschlägen sorgen, genauso sehen? Nicht unerwähnt bleiben darf, um wie vieles fähiger als das AA sich das BMVg über Jahrzehnte erwiesen hatte, als ihm noch die Federführung über Weißbücher zur Bundeswehr und zur Sicherheit des Landes übertragen war. Statt weitblickender Strategie verstaubt nun ein Hochglanz-Erklärbuch à la Grundkurs Außenpolitik in den Regalen. Das kommt davon, wenn vorpreschende Einzelne nicht im Verfahren umfassender Ressortabstimmung wieder eingebremst werden, weil es kein institutionelles Korrektiv wie den Nationalen Sicherheitsrat gibt.

Auch der Bundeskanzler widmete sich mit der Frage, ob und wo ein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet werden solle, einem Thema, über das es wie im grünen Lager bis dahin keinerlei Stellungnahmen, Beschlüsse oder Anträge aus dem Willy-Brandt-Haus gegeben hatte. Dazu geraten haben dürfte ihm der konservative Seeheimer Kreis der Sozialdemokraten. Um drei Ziele zu erreichen: Kanzler und Koalition in ein besseres Licht zu rücken, Union und Liberalen ein zentrales Projekt weg- und die verunsicherte Bevölkerung für sich einzunehmen. Denn im Gegensatz zur SPD hatten CDU und CSU das Modell aus der Wissenschaft zur Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates in Präsidiumsbeschlüssen, Parteiprogrammen, parlamentarischen Anträgen und Pressestatements längst aufgegriffen und mit dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz sogar zur Chefsache gemacht. Die FDP, die das Konzept bereits früher in die eigene Programmatik integriert und die Idee eines Europäischen Sicherheitsrates dafür aufgegeben hatte, kam mit ihren Forderungen aber als leiser Rufer in der Koalition letztendlich nicht zum Ziel. Unwahrscheinlich, dass sie als Befürworter dort überhaupt gehört wurde. Indes werden deren Repräsentanten nicht müde, einen NSR zu fordern, jüngst erst wieder im Nachgang zum Afghanistan-Untersuchungsausschuss. Allerdings ohne zu erwähnen, dass sowohl beim Abzug der Bundeswehr von dort als auch bei den Evakuierungen aus Mali und dem Sudan vier bis zu zwölf Monate früher hätte gehandelt werden können und müssen, um die akute Gefahr für die Bundeswehr und Deutsche vor Ort abzuwenden . Auch Einlassungen des BND-Präsidenten Bruno Kahl im Ausschuss, es habe Fehler bei der Lagebewertung gegeben, stimmen nachdenklich. Insbesondere sei die Geschwindigkeit der Einnahme Kabuls durch die Taliban falsch eingeschätzt worden. In der Gesamtschau ist das Chaos in Kabul jedoch lediglich die Spitze des Eisbergs, der sich aus dem Fehlen eines Nationalen Sicherheitsrates zusammensetzt und ein systemisches Versagen offenbart.

Hoch gepokert und verloren

Der Coup von Kanzler und Außenministerin, der die Opposition und den liberalen Koalitionspartner auf die Plätze verwiesen und Umfragepunkte generiert hätte, gelang nicht. Hoch gepokert, Hohn und Spott geerntet. Nicht nur für den absehbar dünnen Gehalt des als Nationale Sicherheitsstrategie angekündigten Papiers, sondern insbesondere für die Entscheidung gegen einen Nationalen Sicherheitsrat. Kurioserweise hatte es hinter den Kulissen allerlei verbale Verrenkungen gegeben, um ja nicht das Unwort ‚National‘ gebrauchen zu müssen. Merkwürdig, wo doch die Nationale Sicherheitsstrategie oder das Nationale Cyber-Abwehrzentrum auch so heißen dürfen. Glaubt man Presseberichten, scheiterte die seit langem überfällige Einrichtung eines NSR als übergeordnete Sicherheitsbehörde am Ende wohl an persönlicher Hybris gepaart mit Kompetenzgerangel. Von Unvermögen oder Überforderung sprach – zumindest öffentlich – niemand. Auf jeden Fall erwiesen hier einzelne Personen mit ihrem Taktieren der Nationalen Sicherheit einen Bärendienst. Doch wünscht sich die Bevölkerung nicht, dass politisches Handeln jener größeren Sache dient, die nur gemeinsam wirksam verfolgt und umgesetzt werden kann: gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Widerstandsfähigkeit (Resilienz)? Solange Wohl und Wehe einzig von Personen in Spitzenpositionen abhängig ist und nicht institutionalisiert wird, bleibt Sicherheitsvorsorge in der Bundesrepublik ein Roulette-Spiel.

Elefant im Raum

Der Elefant bleibt einstweilen im Raum. Noch immer gibt es keine Institution, die alle relevanten Fragen bedienen und die Nationale Sicherheitsstrategie umsetzen kann. Ein Systemfehler, der in Kombination mit der Unsicherheit über Gestaltungskraft und ‑willen einzelner handelnder Personen jetzt und in Zukunft ein explosives Gemisch ergibt. Mit mehr Gewicht auf fachliche Beratung würde dieser fatale Wirkmechanismus durchbrochen. Ausschließlich in einem NSR stünde Expertise umfassend, permanent aktualisiert und rund um die Uhr zur Verfügung. Verstetigung und Versachlichung der Nationalen Sicherheitsvorsorge sind dringend geboten. Denn Aggressoren oder Saboteure scheren sich nicht um Eitelkeiten oder Wiederwahl. Ganz im Gegenteil: Jeder Zwist, jedes machtpolitische Vakuum, das vom Wesentlichen ablenkt oder Handlungsfähigkeit lähmt, spielt ihnen in die Hände.

Hybride Kriegführung lebt von zentral gebündeltem Informationsfluss und Vernetzung zu einem strategischen Vorgehen – deren Abwehr ebenfalls.

Wäre der Nationale Sicherheitsrat ein Hybrid-Motor – flexibel und leistungsfähig – er fände sicherlich mehr Anhänger. Dieses Antriebsystem kann Benzin, Diesel und Batterie. Hybride Angreifer dagegen arbeiten zusätzlich mit Gas, Sonnenblumenöl, Erbsensuppe und Kölnisch Wasser. Irritierend und verwirrend? Richtig. Und dahinter steckt Methode. Demagogie wie auch Despoten gedeihen besonders gut auf dem Nährboden von Desinformation. Unübersichtlich und mittelprächtig effektiv ist auch der Kampf gegen hybride Aktionen, wenn die Vorbereitung und Durchführung von Abwehrmaßnahmen nicht umfassend, konzertiert und – ein Novum in der Bundesrepublik – unter Einbeziehung der Bevölkerung koordiniert wird. Es kommt auf alle an, nicht auf den einen oder anderen an der Spitze, der jederzeit ersetzbar ist.

Wo soll das alles hinführen, wenn sich in der deutschen Sicherheitsarchitektur institutionell nichts ändert? Welche Institution schafft endlich eine vollständige Bestandsaufnahme der Ressourcen der Bundesrepublik nicht nur kurzfristig, sondern über Jahre hinweg und koordiniert ihren Schutz? Wo werden Konzepte für eine internationale Friedensordnung post Putin entworfen? Wer garantiert dafür, dass Protagonisten der Bundesregierungen der Zukunft sich nicht auch auf Irrwege begeben und Abhängigkeiten schaffen? Kurz: Je weniger Personalisierung und je mehr Versachlichung, desto mehr Verlässlichkeit und Sicherheit steht zu erwarten. Wissenschaftlich und ressortübergreifend hergeleiteten fachlichen Rat eines Nationalen Sicherheitsrates kann kein Politiker auf Dauer ignorieren, ohne Widerstand befürchten zu müssen. Aufgabe eines NSR müsste es außerdem sein, messbare Kriterien zu entwickeln, an denen ablesbar ist, ob Politiker ausreichend für Sicherheit sorgen. Wünschenswerter Begleiteffekt: weniger Anfälligkeit für Demagogie. Ein Grund mehr, es 65 Staaten weltweit gleichzutun und einen Nationalen Sicherheitsrat in Deutschland zu etablieren.

Ein Beitrag von:

Christina Moritz

Politologin

Die Berliner Politologin Christina Moritz forscht und promoviert zu ihrem Modell für einen deutschen Nationalen Sicherheitsrat (NSR), das sie 2016 erstmals vorgestellt hat. Die Expertin setzt sich in Fachpublikationen und Vorträgen für die Schaffung der Institution ein.

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Grafik-Christina-Moritz Hybride Kriegführung lebt von zentral gebündeltem Informationsfluss und Vernetzung zu einem strategischen Vorgehen – deren Abwehr ebenfalls. CC0 1.0 Christina Moritz
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