Die Türkei und Russland stehen sich derzeit in gleich mehreren internationalen Konflikten gegenüber: in Bergkarabach, in Syrien, in Libyen. Auch die russische Besetzung der Krim hatte die Türkei scharf kritisiert. Dass es dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan dennoch gelungen ist, Ukrainer und Russen in Istanbul an einen Tisch zu bringen, ist ein Erfolg und stärkt das politische Gewicht der türkischen Regierung nach außen wie nach innen. Einen türkischen Masterplan sieht die in Köln und Istanbul lebende Publizistin Marion Sendker in der türkischen Sicherheitspolitik allerdings nicht. Vielmehr verfahre der Präsident nach dem Motto eines türkischen Sprichworts: „Nimm den Karren, fahr los, er wird den Weg schon säubern“.
Dass die russische Seite zeitgleich zu den Gesprächen weiter ukrainische Städte in Schutt und Asche lege, sei nicht außergewöhnlich. Denn der Verhandlungsweg bis zu einem Frieden sei meistens ein langer Prozess. Und so sei auch ein Waffenstillstand nicht gleich am Anfang von Verhandlungen zu erwarten. Viel erfolgloser als die türkischen Vermittlungsversuche seien die des Westens und insbesondere die des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gewesen. Wer sich so einseitig auf die Seite der Ukraine stelle, falle doch automatisch als Vermittler aus.
Die Stimmung innerhalb der Türkei bewertet Marion Sendker im Vergleich zu Deutschland als deutlich russlandfreundlicher. So zeigten auch unabhängige Umfragen, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Türkei zwar mehrheitlich gegen den Angriff auf die Ukraine seien, die Verantwortung für den russischen Angriff auf die Ukraine sähen die Türken aber mit einer knappen Mehrheit auf der Seite der USA und ihrer NATO-Partner.
Die Türkei ist seit dem russischen Einmarsch bei westlichen Staatsführern massiv umworben und feiert mit dem Comeback auf der diplomatischen Bühne gerade eine große Sternstunde. Dass die zivilgesellschaftliche Opposition in der Türkei diese internationale Anerkennung mit sehr gemischten Gefühlen zur Kenntnis nimmt, sieht Sendker sehr klar. Auch wenn das vermittelnde Engagement der Regierung als große innenpolitische Imagekampagne diene, so sei die Innenpolitik sicher nicht das Hauptmotiv für die aktive Neutralitätsrolle als Mediator im Ukrainekonflikt.
Punkt für Punkt analysieren Moderator Oliver Weilandt und Marion Sendker die sechs wichtigsten Konfliktfelder, die die Unterhändler der Ukraine und Russlands bei ihren Verhandlungen trennen. Hier auch unter der Fragestellung, welche Interessen der türkische Präsident mit jedem dieser Konfliktfelder verbindet.