Auch im Jahr 2025 hat der Politische Direktor des Bundesministeriums der Verteidigung, Dr. Jasper Wieck, mit seiner Einschätzung zur „Strategischen Lage zum Jahresbeginn“ das sicherheitspolitische Vortragsjahr unserer Gesellschaft in Berlin eröffnet.
Dr. Wiecks Lageeinschätzung: Die multipolare Weltordnung und ihre Herausforderungen
Im Zentrum des Vortrags von Dr. Wieck stand die zunehmende Multipolarität der Welt und deren sicherheitspolitische Implikationen für Deutschland und Europa. Er betonte, dass die geopolitische Landschaft nicht mehr von einer einzigen Supermacht dominiert werde, sondern sich durch mehrere Machtzentren auszeichne. Während der Westen nach dem Kalten Krieg eine unipolare Weltordnung prägte, sei heute ein relativer Machtverlust spürbar. Die internationalen Beziehungen seien zunehmend von konkurrierenden Einflusszonen und strategischen Allianzen bestimmt, was insbesondere für Europa eine neue sicherheitspolitische Realität darstelle.
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sei dabei nicht nur eine militärische Herausforderung, sondern eine Bewährungsprobe für die transatlantische Allianz. Russland versuche, durch hybride Kriegsführung, Sabotage und Cyberangriffe seinen Einfluss auszuweiten. Gleichzeitig werde deutlich, dass auch China eine wachsende Rolle in der multipolaren Weltordnung spiele. Peking verfolge eine langfristige Strategie, in der wirtschaftliche Abhängigkeiten und gezielte Partnerschaften genutzt würden, um den westlichen Einfluss zurückzudrängen. Für Europa ergebe sich daraus die Notwendigkeit, eine strategische Balance zu finden, die sowohl wirtschaftliche als auch sicherheitspolitische Aspekte berücksichtigt.
Mit Blick auf die USA verwies Dr. Wieck auf die Herausforderungen, die mit der neuen US-Administration einhergehen. Washingtons sicherheitspolitischer Fokus verlagere sich immer stärker auf den Indopazifik, wodurch Europas Eigenverantwortung in Verteidigungsfragen wachse. Die NATO stehe vor der Frage, wie sie sich in dieser neuen Ordnung positionieren und ob sie sich auf eine veränderte Lastenverteilung einstellen müsse. Zudem werde Europa gefordert sein, seine Rolle als eigenständiger Akteur zu definieren und strategische Allianzen über die NATO hinaus zu knüpfen.
Dr. Wieck unterstrich, dass Deutschland und Europa eine proaktive Sicherheitsstrategie entwickeln müssten, die militärische, wirtschaftliche und diplomatische Instrumente kombiniere. Der Wandel hin zu einer multipolaren Welt erfordere ein Umdenken in der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.
Diskussion und Interaktion mit dem Publikum
Nach dem Vortrag folgte eine angeregte Diskussion mit dem Panel und dem Publikum. online und vor Ort. Jessica Berlin betonte, dass Deutschland und Europa nicht nur materiell, sondern auch mental auf die neue geopolitische Realität vorbereitet sein müssten. Die Gesellschaft müsse verstehen, dass hybride Kriegsführung und geopolitische Einflussnahme längst Teil des Alltags seien. Leonhard Simon sprach über die Notwendigkeit, Europa sicherheitspolitisch unabhängiger zu machen. Die transatlantische Partnerschaft bleibe essenziell, doch müsse Europa strategisch eigene Initiativen vorantreiben. Dr. Ursula Weidenfeld lenkte die Debatte auf konkrete Maßnahmen, die Deutschland und Europa ergreifen könnten, um in einer multipolaren Welt souverän zu agieren.
Ein besonders kontrovers diskutiertes Thema war die Frage, inwieweit Deutschland bereit sei, seine Verteidigungsausgaben weiter zu erhöhen und eine stärkere sicherheitspolitische Rolle einzunehmen. Zudem wurde die Notwendigkeit einer verbesserten europäischen Luftverteidigung und einer engeren Zusammenarbeit innerhalb der EU hervorgehoben, um Bedrohungen aus Russland und anderen geopolitischen Akteuren effektiver begegnen zu können.
Die Veranstaltung verdeutlichte, dass Europa sich in einer multipolaren Welt neu positionieren muss. Der sicherheitspolitische Fokus darf nicht nur auf der transatlantischen Partnerschaft liegen, sondern muss strategische Allianzen mit weiteren globalen Akteuren einbeziehen. Deutschland steht vor der Herausforderung, sich sicherheitspolitisch eigenständiger aufzustellen, ohne dabei bestehende Bündnisse zu vernachlässigen.
Wir bedanken uns herzlich bei allen Gästen, die vor Ort oder online teilgenommen haben, sowie bei den Panelisten für ihre wertvollen Einblicke. Wir freuen uns auf weitere spannende Diskussionen im Laufe des Jahres.