Ausbildung ukrainischer Soldaten
Am 15. Februar 2024 trug Herr Generalleutnant Marlow im Forum Mainz zur Ausbildung der ukrainischen Soldaten vor. Generalleutnant Marlow trug in einer Doppelrolle vor. Zum einen ist er der Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres und Kommandeur der Militärischen Grundorganisation, welche die Ausbildungseinrichtungen des Deutschen Heeres und das Amt für Heeresentwicklung umfasst. Zum anderen führt er als Commander des Special Training Command eines der beiden Kommandos der EU-Ausbildungsmissionen zur Unterstützung der Ukraine. Das andere Kommando ist das Combined Arms Training Command in Polen, Zagan.
Nach einem Überblick über die bisher von Deutschland geleistete materielle Unterstützung für die Ukraine erläuterte er die seit 2022 zuerst auf binationaler Basis gemeinsam mit den Niederlanden, und ab November 2022 zusätzlich auf EU-Ebene durchgeführte Ausbildungsunterstützung für die Ukraine. Nach Kriegsbeginn wurden zunächst ukrainische Soldatinnen und Soldaten auf den von Deutschland und den Niederlanden gelieferten Waffensystemen Panzerhaubitze 2000, Artillerieraketenwerfer MARS und Flugabwehrpanzer Gepard ausgebildet. Mittlerweile gliedert sich die Ausbildung der ukrainischen Soldaten in die vier Ausbildungsfelder Basisausbildung, wie z.B. die Grundausbildung von ukrainischen Soldatinnen und Soldaten, Spezialistenausbildung, bspw. für Besatzungen und Wartungspersonal der gelieferten Waffensysteme, Führerausbildung und Truppenausbildung bis zur Größe einer Brigade. Alle Teilstreitkräfte und Bereiche der Bundeswehr sind in der Ausbildung oder dessen Unterstützung eingebunden. Zudem unterstützt und koordiniert das ST‑C die durch die Industrie durchgeführten technischen Ausbildungen der Ukrainer in Deutschland. Das ST‑C hat, bezogen auf die Ausbildungsmission Europas bisher 10 % der Soldatinnen und Soldaten ausgebildet, durch die breite Ausbildungspalette von mehr als 230 Modulen allerdings 24 % der Inhalte aller in Europa durchgeführten Trainings für die Ukraine. Insgesamt sollen unter dem EU-Mandat 60.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten in zwei Jahren durch die verschiedenen Ausbildungen geschleust werden. Das Special-Training Command wird von diesen etwa 20.000 ausbilden.
Eine besondere Herausforderung ist die Sprachbarriere, die einen hohen Personalbedarf nicht nur an Ausbildern, sondern auch Dolmetschern erfordert. Dabei ist vor dem eigentlichen Ausbildungsbetrieb durch die ukrainischen Soldaten noch ein inzwischen standardisiertes Verfahren mit TBC-Untersuchung, Ergänzung der Ausrüstung sowie der notwendigen Einreisekontrolle zu durchlaufen.
Der Krieg in der Ukraine darf nicht nur als physischer Krieg, sondern auch als Informationskrieg verstanden werden. Beide Kriegsparteien versuchen darauf Einfluss zu nehmen, wie Informationen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden mit Ziel, die eigene Operationsführung zu unterstützen bzw. in einem bestimmten Licht zu darzustellen. Insbesondere Russland nutzt dabei vielfach Fake News. Da kaum eigene Sensoren zur Beobachtung des Krieges zur Verfügung stehen, muss stets die Absicht der Quelle bei der Auswertung berücksichtigt werden. Als Erkenntnis aus dem Krieg kann auf der operativen Ebene die zentrale Bedeutung von Aufwuchs, also Personalergänzung und ‑ersatz, und Aufmarsch unter den Bedingungen eines neuartigen Kriegsbildes gewonnen werden. Neue Fähigkeiten sind beim Einsatz und bei der Abwehr von Drohnen und beim Waffeneinsatz über große Distanzen erforderlich. Auf der taktischen Ebene haben der Grabenkampf und das Überwinden von Sperren eine neue Aktualität gewonnen. Drohnen werden auf allen Ebenen zur Aufklärung und als Waffe eingesetzt, mit 10.000 Kleinstdrohnen, die pro Monat verbraucht werden, sind Drohnen inzwischen eher als Munition zu sehen, denn als mehrfach nutzbares Waffensystem. Wir müssen in dieser Hinsicht ggf. auch umdenken. Neben der technischen Drohnenabwehr durch die Aufstellung einer neuen Fähigkeit im Heer gegen die Bedrohung aus der Luft mit dem Waffensystem Skyranger, welches auf dem Fahrgestell des Geschützten Transportkraftfahrzeugs Boxer basiert und zunächst mit Kanonen und später auch Raketen ausgestattet sein wird, sowie durch IRIS-T-Nahbereich, müssen die Kräfte beweglich, verteilt oder geschützt sein, zur Begegnung der Bedrohung durch Drohnen. Auch die elektronische Kampfführung muss einen wichtigen Beitrag leisten.
Bei 60 – 80 % Verlusten durch Artilleriewirkung muss der Artillerie bei der Bundeswehr wieder höhere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Daher ist der Aufwuchs von derzeit 4 auf 10 ‑11 Artilleriebataillone mit Rohr- bzw. weitreichenden Raketensystemen geplant. Die Bedeutung einer gesicherten Munitionsversorgung für die Artillerie wird durch den Verbrauch der Ukraine von 90.000 Schuss pro Monat unterstrichen. Um die Ukraine weiterhin zu unterstützen, aber auch den Bedarf des Deutschen Heeres zu decken, planen verschiedene Rüstungsfirmen den Ausbau ihrer Kapazitäten, erst kürzlich Rheinmetall mit dem ersten Spatenstich für ein neues Munitionswerk.
Die Bundeswehr muss kriegstüchtig beim Personal, bei den Strukturen und beim Material werden. Das Personalproblem besteht zum Teil aus Demografie, zum anderen Teil aber auch aus eigenen Organisationsinternen Hürden, die sukzessive abgebaut werden sollen. Die zukünftige Struktur der Bundeswehr beabsichtigt der Verteidigungsminister bis Ostern zu entscheiden, danach gilt es zu analysieren, welche Konsequenzen daraus für das Heer zu ziehen sind. Beim Material ist die Vollausstattung erforderlich, da neben den Gefechtsbedingten Ausfällen sich außerdem in der Ukraine ein wesentlich höherer Verschleiß durch eine viel stärkere Nutzung des Materials zeigt. Daher müssen neben Umlaufreserven auch die Materialwartung und – Instandsetzung mit eingeplant werden.