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Bericht aus Washington zum Stand der transatlantischen Beziehungen

Aufzeichnung der Veranstaltung vom 10.02.2025

Die zweite traditionsreiche sicherheitspolitische Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in diesem Jahr widmete sich der aktuellen Lage der transatlantischen Beziehungen. Zu Gast waren Botschafter Andreas Michaelis, Deutschlands Vertreter in Washington, sein Amtsvorgänger Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth sowie die erfahrene ARD-Journalistin Anna Engelke. Die Moderation übernahm die verteidigungspolitische Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Sina-Maria Schweikle.

Einordnung der transatlantischen Beziehungen: Wandel in unsicheren Zeiten

In seiner einleitenden Analyse betonte Botschafter Andreas Michaelis, dass die USA für Deutschland und Europa noch wichtiger geworden seien als je zuvor. Unabhängig von der jeweiligen Administration bleiben die Vereinigten Staaten ein zentraler Partner in sicherheits- und wirtschaftspolitischen Fragen. Er unterstrich die enorme wirtschaftliche Dynamik der USA, die insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Energie und Forschung neue Realitäten schafft. Die wachsende Kluft zwischen den USA und Europa im wirtschaftlichen Fortschritt sei unübersehbar: Während Deutschland mit Nullwachstum kämpft, verzeichnen die USA ein erhebliches Wirtschaftswachstum, verstärkt durch massive Investitionen in Forschung und neue Industrien.

Gleichzeitig zeigte sich Michaelis besorgt über die zunehmende Abkoppelung der USA von bisherigen außenpolitischen Grundsätzen. Unter der neuen Trump-Administration sei eine Strategie der „maximalen Disruption“ zu beobachten, die sich sowohl auf innenpolitische als auch auf außenpolitische Prozesse auswirke. Dabei seien Entscheidungen häufig weniger an etablierten multilateralen Prozessen orientiert als an direkten, kurzfristigen Ergebnissen. Dies betreffe unter anderem die Haltung der USA zur Ukraine, zu Europa und zu multilateralen Institutionen.

Die Herausforderungen für die NATO und Europas Sicherheit

Ein zentrales Diskussionsthema war die Zukunft der NATO unter der neuen US-Regierung. Moderatorin Schweikle stellte das Publikum vor die Frage, ob die USA im Falle eines Angriffs auf die baltischen Staaten ihre Beistandspflicht erfüllen würden. Die Reaktionen darauf waren geteilt, was die Unsicherheiten innerhalb des Bündnisses widerspiegelt.

Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth erinnerte daran, dass sich die republikanische Partei über Jahrzehnte hinweg gewandelt hat – von einer klassischen konservativen Partei hin zu einer von populistischen Strömungen geprägten Bewegung. Er hob hervor, dass die Trump-Administration weniger Interesse an einer langfristigen diplomatischen Einbindung Europas zeige und stattdessen auf unmittelbare Interessenmaximierung setze. Dennoch sei es für Europa von zentraler Bedeutung, nicht in eine passive Rolle zu verfallen, sondern sich strategisch eigenständiger aufzustellen.

Anna Engelke lenkte die Debatte auf die Ukraine-Politik der USA. Bereits jetzt sei eine veränderte Unterstützungspolitik spürbar, da zentrale Finanzierungsmechanismen infrage gestellt würden. Dennoch gebe es in der Ukraine auch Hoffnungen auf Trumps Unberechenbarkeit: Während einige in Washington für eine Verhandlungslösung mit Russland plädierten, könnten andere im Umfeld des Präsidenten eine Fortführung der Unterstützung anstreben – möglicherweise mit dem Ziel, Trump als entscheidenden Friedensstifter darzustellen.

Eine fragmentierte US-Innenpolitik und ihre Auswirkungen auf Europa

Ein weiteres wichtiges Thema war die innenpolitische Entwicklung in den USA. Botschafter Michaelis stellte fest, dass die Exekutive unter Trump in einem bisher beispiellosen Ausmaß versuche, ihre Macht auszuweiten – unter anderem durch den Einfluss auf Justiz, Sicherheitsbehörden und öffentliche Institutionen. Während die Gerichte bislang eine gewisse Kontrolle ausübten, sei unklar, ob diese langfristig bestehen bleibe.

In der Diskussion wurde zudem der Einfluss von Wirtschaftsakteuren wie Elon Musk auf die öffentliche Meinung und politische Prozesse thematisiert. Dr. Scharioth betonte, dass soziale Medienplattformen zunehmend Einfluss auf politische Entscheidungen und Wahlergebnisse nähmen – ein Faktor, den auch europäische Staaten ernster nehmen müssten.

Fazit: Die transatlantischen Beziehungen auf einem Prüfstand

Die Diskussion zeigte deutlich, dass die transatlantischen Beziehungen durch strukturelle Herausforderungen, wirtschaftliche Disparitäten und politische Unsicherheiten geprägt sind. Europa müsse sich darauf einstellen, strategisch unabhängiger zu agieren und eigene sicherheitspolitische Kapazitäten auszubauen. Die enge Zusammenarbeit mit den USA bleibe essenziell, doch dürfe man nicht darauf hoffen, dass Washingtons Unterstützung in jedem Szenario selbstverständlich sei.

Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre Fragen und Einblicke sowie unseren Gästen für ihre spannenden Analysen. Die Diskussion hat gezeigt, wie wichtig der transatlantische Dialog für die sicherheitspolitische und wirtschaftliche Zukunft Europas ist. Wir freuen uns auf den nächsten Atlantic Talk.

Zu Gast:

Botschafter Andreas Michaelis

Deutscher Botschafter in Washington D.C.

Andreas Michaelis ist seit August 2023 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinigten Staaten von Amerika. Er trat 1989 in den Auswärtigen Dienst ein und war vor seiner aktuellen Tätigkeit unter anderem Botschafter Deutschlands in Israel, Staatssekretär des Auswärtigen Amts und Botschafter im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland.

Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth

Deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten (2006 – 2011)

Dr. Klaus Scharioth schloss sein Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, Freiburg und Genf mit dem ersten juristischen Staatsexamen ab, bevor er Internationale Beziehungen und Völkerrecht und Internationale Wirtschaft an der Fletcher School of Law and Diplomacy sowie an der Harvard Law School und der John F. Kennedy School of Government studierte. 1976 trat er in den diplomatischen Dienst ein und leitete von 1993 bis 1996 das Büro des NATO-Generalsekretärs in Brüssel. Im Auswärtigen Amt diente er unter anderem als Referatsleiter Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, Unterabteilungsleiter für Internationale Sicherheit und Nordamerika sowie anschließend als Politischer Direktor und Leiter der Politischen Abteilung (1999-2002). Vor seiner letzten Verwendung als deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten (2006-2011) war er Staatssekretär des Auswärtigen Amtes (2002-2006).

Anna Engelke

Stellvertretende Studioleiterin, ARD-Hauptstadtstudio

Anna Engelke ist seit Juli 2024 Leiterin der Gemeinschaftsredaktion Radio im ARD-Hauptstadtstudio in Berlin. Zuvor war sie Host des sicherheitspolitischen Podcast Streitkräfte und Strategien des NDR. Von 2017 bis 2022 war sie Sprecherin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Als Hörfunk-Korrespondentin des NDR hat sie in Washington, Berlin und Bonn gearbeitet. Engelke begann ihre journalistische Laufbahn beim NDR.

Moderation:

Sina-Maria Schweikle

Verteidigungspolitische Korrespondentin im Berliner Parlamentsbüro, Süddeutsche Zeitung

Sina-Maria Schweikle hat nach Abschluss ihres Studiums in München von 2019 bis 2021 in Libanon gearbeitet - erst für eine politische Stiftung, dann für eine humanitäre Hilfsorganisation. Dort hat sie auch angefangen, journalistisch zu arbeiten. Seit 2022 ist sie bei der Süddeutschen Zeitung, seit März 2024 als verteidigungspolitische Korrespondentin im Berliner Parlamentsbüro.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Nicolas Fescharek

Referent
Lennéstraße 11 · 10785 Berlin
030 20649-134
030 20649-136
Bildnachweise für diese Seite
 Copyright
DW 2023 Leo Simon
Botschafter Michalis CC BY-NC 2.0 USAID U.S. Agency for International Development
Autorenportraits Friedrich Bungert
Dr. Nicolas Fescharek Leo Simon
By Tohma (talk) [Creative Commons], via Wikimedia Commons
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