Die zweite traditionsreiche sicherheitspolitische Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in diesem Jahr widmete sich der aktuellen Lage der transatlantischen Beziehungen. Zu Gast waren Botschafter Andreas Michaelis, Deutschlands Vertreter in Washington, sein Amtsvorgänger Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth sowie die erfahrene ARD-Journalistin Anna Engelke. Die Moderation übernahm die verteidigungspolitische Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Sina-Maria Schweikle.
Einordnung der transatlantischen Beziehungen: Wandel in unsicheren Zeiten
In seiner einleitenden Analyse betonte Botschafter Andreas Michaelis, dass die USA für Deutschland und Europa noch wichtiger geworden seien als je zuvor. Unabhängig von der jeweiligen Administration bleiben die Vereinigten Staaten ein zentraler Partner in sicherheits- und wirtschaftspolitischen Fragen. Er unterstrich die enorme wirtschaftliche Dynamik der USA, die insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Energie und Forschung neue Realitäten schafft. Die wachsende Kluft zwischen den USA und Europa im wirtschaftlichen Fortschritt sei unübersehbar: Während Deutschland mit Nullwachstum kämpft, verzeichnen die USA ein erhebliches Wirtschaftswachstum, verstärkt durch massive Investitionen in Forschung und neue Industrien.
Gleichzeitig zeigte sich Michaelis besorgt über die zunehmende Abkoppelung der USA von bisherigen außenpolitischen Grundsätzen. Unter der neuen Trump-Administration sei eine Strategie der „maximalen Disruption“ zu beobachten, die sich sowohl auf innenpolitische als auch auf außenpolitische Prozesse auswirke. Dabei seien Entscheidungen häufig weniger an etablierten multilateralen Prozessen orientiert als an direkten, kurzfristigen Ergebnissen. Dies betreffe unter anderem die Haltung der USA zur Ukraine, zu Europa und zu multilateralen Institutionen.
Die Herausforderungen für die NATO und Europas Sicherheit
Ein zentrales Diskussionsthema war die Zukunft der NATO unter der neuen US-Regierung. Moderatorin Schweikle stellte das Publikum vor die Frage, ob die USA im Falle eines Angriffs auf die baltischen Staaten ihre Beistandspflicht erfüllen würden. Die Reaktionen darauf waren geteilt, was die Unsicherheiten innerhalb des Bündnisses widerspiegelt.
Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth erinnerte daran, dass sich die republikanische Partei über Jahrzehnte hinweg gewandelt hat – von einer klassischen konservativen Partei hin zu einer von populistischen Strömungen geprägten Bewegung. Er hob hervor, dass die Trump-Administration weniger Interesse an einer langfristigen diplomatischen Einbindung Europas zeige und stattdessen auf unmittelbare Interessenmaximierung setze. Dennoch sei es für Europa von zentraler Bedeutung, nicht in eine passive Rolle zu verfallen, sondern sich strategisch eigenständiger aufzustellen.
Anna Engelke lenkte die Debatte auf die Ukraine-Politik der USA. Bereits jetzt sei eine veränderte Unterstützungspolitik spürbar, da zentrale Finanzierungsmechanismen infrage gestellt würden. Dennoch gebe es in der Ukraine auch Hoffnungen auf Trumps Unberechenbarkeit: Während einige in Washington für eine Verhandlungslösung mit Russland plädierten, könnten andere im Umfeld des Präsidenten eine Fortführung der Unterstützung anstreben – möglicherweise mit dem Ziel, Trump als entscheidenden Friedensstifter darzustellen.
Eine fragmentierte US-Innenpolitik und ihre Auswirkungen auf Europa
Ein weiteres wichtiges Thema war die innenpolitische Entwicklung in den USA. Botschafter Michaelis stellte fest, dass die Exekutive unter Trump in einem bisher beispiellosen Ausmaß versuche, ihre Macht auszuweiten – unter anderem durch den Einfluss auf Justiz, Sicherheitsbehörden und öffentliche Institutionen. Während die Gerichte bislang eine gewisse Kontrolle ausübten, sei unklar, ob diese langfristig bestehen bleibe.
In der Diskussion wurde zudem der Einfluss von Wirtschaftsakteuren wie Elon Musk auf die öffentliche Meinung und politische Prozesse thematisiert. Dr. Scharioth betonte, dass soziale Medienplattformen zunehmend Einfluss auf politische Entscheidungen und Wahlergebnisse nähmen – ein Faktor, den auch europäische Staaten ernster nehmen müssten.
Fazit: Die transatlantischen Beziehungen auf einem Prüfstand
Die Diskussion zeigte deutlich, dass die transatlantischen Beziehungen durch strukturelle Herausforderungen, wirtschaftliche Disparitäten und politische Unsicherheiten geprägt sind. Europa müsse sich darauf einstellen, strategisch unabhängiger zu agieren und eigene sicherheitspolitische Kapazitäten auszubauen. Die enge Zusammenarbeit mit den USA bleibe essenziell, doch dürfe man nicht darauf hoffen, dass Washingtons Unterstützung in jedem Szenario selbstverständlich sei.
Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre Fragen und Einblicke sowie unseren Gästen für ihre spannenden Analysen. Die Diskussion hat gezeigt, wie wichtig der transatlantische Dialog für die sicherheitspolitische und wirtschaftliche Zukunft Europas ist. Wir freuen uns auf den nächsten Atlantic Talk.