In der Region Jammu und Kaschmir im Norden Indiens schwelt seit Jahrzehnten der Kaschmir-Konflikt. Wegen der regelmäßigen Gewaltausbrüche zwischen Indien und Pakistan und weil beide Staaten Atomwaffen besitzen, gilt Kaschmir als eine der gefährlichsten Regionen der Welt. Die letzte Eskalation Anfang Mai 2025 wurde ausgelöst durch einen Terroranschlag bei Pahalgam. Indien reagierte mit der „Operation Sindoor“, mit gezielten Militärschlägen auf mutmaßliche Terrorcamps in Pakistan, was wiederum zu Gegenangriffen Pakistans führte. Es kam zu schweren Kämpfen an der Grenze und zu gegenseitigen Anschuldigungen und Sanktionen. Inzwischen gibt es eine Waffenruhe, doch es herrscht weiter eine diplomatische Eiszeit.
Im Atlantic Talk Podcast schauen Moderator Dario Weilandt und sein Gast Dr. Tobias Scholz (Stiftung Wissenschaft und Politik, zugeschaltet aus Indien) in dieser Folge mit etwas Abstand auf diesen Kurzkrieg. Während Indien versucht, den indischen Teil Kaschmirs zu einer wirtschaftlich attraktiven, lukrativen und blühenden Region zu machen, stellen sich islamistische Gruppen aus Pakistan dagegen, erläutert Dr. Scholz. Für den jüngsten Terroranschlag mache Indien jedoch nicht nur diese Terrorgruppen verantwortlich, sondern auch Pakistan direkt. So drohe aus einem Konflikt zwischen Indien und den Terrorgruppen ein bilateraler Konflikt zwischen Indien und Pakistan zu entstehen.
Dazu trägt auch bei, dass Indien den Indus-Wasservertrag ausgesetzt hat, der seit 1960 die Wasserverteilung der für Pakistan wichtigen Lebensader regelt. Wenn Indien das Wasser selbst nutzen würde, könnte das aus Sicht Pakistans eine rote Linie überschreiten. Das sei „eine schlechte Entscheidung Indiens aus globaler Perspektive“, urteilt Dr. Scholz, denn Indien sei ja bei diesem Terroranschlag eigentlich in einer Opferrolle. Doch durch das Aussetzen dieses internationalen Vertrags erscheine Indien nun als aggressiver Akteur.
Wie gefährlich ist eine solche Situation in Anbetracht der Tatsache, dass nicht nur Indien und Pakistan über Nuklearwaffen, sondern darüber hinaus auch China einen Teil der Kaschmir-Region beansprucht und ebenfalls Nuklearmacht ist? Dr. Scholz sieht keine direkte Gefahr für den Einsatz von Nuklearwaffen, daran lasse derzeit keiner der drei Staaten Interesse erkennen. Die Gefahr gehe eher davon aus, dass durch nicht-staatliche Terrorgruppen bilaterale Konflikte mit der Zeit soweit eskalieren, dass dann eine nukleare Schwelle erreicht werden könnte. Vom „nuklearen Säbelrasseln Pakistans“ lasse sich weder Regierung noch die Bevölkerung Indiens verunsichern.
Im letzten Teil richtet der Atlantic Talk Podcast den Blick auf Indiens wachsende Rolle in der Welt. Dr. Scholz betont, schon jetzt sei Indien der Akteur, der Fachkräfte in alle Welt sendet. Wirtschaftlich hat Indien Japan bereits nach einigen Indizes überholt und wird in zwei bis drei Jahren zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen. Gleichzeitig hat das Land immer noch rund 800 Millionen Einwohner, die von akuter Armut betroffen sind.
Wie positioniert sich das Land außenpolitisch und was bedeutet das für die Beziehungen im Konfliktfeld zwischen den USA und China? Darum geht es ebenso, wie um die erneuten Verhandlungen zwischen der EU und Indien über ein Freihandelsabkommen sowie Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaften. Dr. Tobias Scholz sieht ein Momentum dafür, dass die Verhandlungen diesmal gelingen könnten.