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Bundesminister Maas im DAG-Interview: Beziehungen zu Washington zum Guten verändert

Bundesregierung hält an Nordstream 2 fest

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen haben sich nach Einschätzung von Bundesaußenminister Heiko Maas unter der neuen Biden-Regierung wieder „zum Guten“ entwickelt. In einer umfassenden Bilanz der ersten 100 Tage betonte  Maas in der Veranstaltungsreihe „Atlantic Talk“ der Deutschen Atlantischen Gesellschaft (DAG) am Montag in Berlin , nach vier Jahren, in denen die Bundesregierung  in wesentlichen Fragen nicht mehr konsultiert worden sei, habe er bereits jetzt „gefühlt mit meinem Amtskollegen (Toni Blinken) schon  öfter gesprochen als mit seinem Vorgänger in der gesamten Amtszeit“.  Meistens komme man bei den großen internationalen Problemen zu denselben Ergebnissen. „Nicht überall, das ist aber früher auch nicht so gewesen,  und insofern hat sich für mich, seitdem Joe Biden sein Amt angetreten hat, im Verhältnis zu den USA nahezu alles verändert und zwar zum Guten“.

Maas bekannte sich zum 2‑Prozent-Ziel für die NATO

„Das es eine Verpflichtung für Deutschland gibt ist klar! Wir haben auch immer gesagt, dass wir dazu stehen“, betonte Maas. In seinen bisherigen Gesprächen  habe sein US-Amtskollege darauf verzichtet, das Thema anzusprechen. Auch als Sozialdemokrat stehe er in diesem Wahljahr dazu.

 „Ja ich habe es ja jetzt gesagt und ich werde es auch weiterhin sagen. Wir haben einen Plan vorgelegt, wie wir unsere Ausgaben schrittweise erhöhen wollen, bis erst einmal im Jahr 2024. Wir sind jetzt schon weiter, als darin eigentlich vorgesehen und wer sich die Bundeswehr auch anschaut, der wird sehr schnell feststellen können, dass es dabei nicht um Aufrüstung geht, sondern um Ausrüstung. Da gibt es erheblichen Handlungsbedarf und dafür müssen wir auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen“.

Gleichzeitig bekräftigte Maas die Absicht der Bundesregierung,  weiterhin an der Fertigstellung der in Washington  umstrittenen Gas-Pipeline Nordstream 2 festzuhalten. Maas verwies in diesem Zusammenhang auch auf den Schulterschluss zwischen Russland und China. 

„Das ist keine gute Entwicklung, damit schafft man den größten wirtschaftlichen und militärischen Komplex auf der Welt. Das kann nicht in unserem Interesse sein, das hielte ich sogar geostrategisch für gefährlich und deshalb finde ich: Ja, es muss auch möglich sein mit Russland wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten und Nordstream 2 ist ein Projekt in diesem Rahmen“.

Maas begrüßte das Angebot  des neuen US-Präsidenten, sich mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu treffen. 

„Also das ist, glaube ich, auch die Strategie der Vereinigten Staaten, sehr outspoken zu sein in allen Fragen, die Russland betreffen, auch die Konflikte die wir mit Russland haben, aber immer auch ein Dialogangebot zu machen und das halte ich für richtig. Das es ein Weg so wie wir ihn in der Europäischen Union ja auch gehen, ich glaube es gibt dazu keine vernünftige Alternative und ich glaube das wäre außerordentlich hilfreich nicht bilateral, nur zwischen Russland und den USA, wenn es zu diesem direkten Aufeinandertreffen kommt, zu einem Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin, sondern das wäre für viele internationale Konflikte, und das wäre für die Welt insgesamt ein sicherlich sehr, sehr positives Ereignis“.

Hier das Interview im Wortlaut:

Moderation: Werner Sonne, Journalist und Autor, Vorstandsmitglied der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, Berliner Studioleiter des ARD-Morgenmagazins (2004−2012)

Aufgezeichnet am Freitag, 23. April 2021 um 14:30 Uhr in Berlin: 

WS: Vier sehr komplexe Jahre mit Donald Trump im Weißen Haus liegen hinter uns, liegen hinter der internationalen Diplomatie und nach 100 Tagen Biden im Weißen Haus: „Was hat sich geändert?“, das ist die Frage, die wir jetzt an Außenminister Heiko Maas stellen wollen, den ich herzlich begrüße hier im Studio des Atlantic Talks gleich vorm Brandenburger Tor. Herzlich Willkommen Herr Maas!

HM: Hallo Herr Sonne!

WS: Ja die Frage ist, was hat sich nun wirklich geändert in den ersten 100 Tagen?

HM: Ich bin geneigt zu sagen, eigentlich alles! In den letzten vier Jahren haben wir uns irgendwann daran gewöhnt, dass nicht mehr konsultiert wird und man im Ergebnis auch zu völlig unterschiedlichen Positionen in den wichtigen internationalen Dossiers gekommen ist, jetzt reden wir sehr intensiv miteinander. Ich glaube ich habe gefühlt mit dem neuen amerikanischen Kollegen Toni Biden (Achtung: Versprecher, gemeint ist Toni Blinken) schon öfter gesprochen als mit seinem Vorgänger in der gesamten Amtszeit, die er hatte, und wir kommen auch meistens bei den großen Themen, mit denen wir uns im Moment auseinandersetzen – die Bekämpfung des Virus, aber auch Fragen, wie arbeiten wir international zusammen, wie gehen wir mit dem Iran um, wie halten wir es mit China, wie halten wir es mit Russland – im Wesentlichen auch zu den gleichen Ergebnissen kommen. Nicht überall, das ist aber früher auch nicht so gewesen und insofern hat sich für mich, seitdem Joe Biden sein Amt angetreten hat, im Verhältnis zu den USA nahezu alles verändert und zwar zum Guten.

WS: Ja, im Stil hat sich natürlich viel verbessert, ohne Zweifel, dass haben Sie auch gerade angesprochen, aber gibt es nicht auch noch substanzielle Meinungsverschiedenheiten? 

HM: Also es gibt natürlich Meinungsverschiedenheit. Es wäre auch komisch, wenn das nicht so wäre. Das ist ja früher auch bei Präsident Obama nicht anders gewesen. Aber mit der Trump-Administration gab es keine gemeinsame Entscheidungsfindung oder auch nicht den Versuch einer gemeinsamen Entscheidungsfindung. Wir sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden, beim Austritt der Vereinigten Staaten etwa aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran oder als sie die Weltgesundheitsorganisation verlassen haben, beim angekündigten Abzug von Amerikanischen Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland und das ist jetzt komplett anders. Wir reden über all diese Themen sehr intensiv, meistens kommen wir auch zu gleichen Ergebnissen und da wo wir unterschiedliche Ergebnisse haben, da tauschen wir das offen miteinander aus und versuchen dennoch einen gemeinsamen Weg zu finden, wie wir uns in bestimmten internationalen Fragen verhalten, auch wenn wir unterschiedliche Auffassungen haben.

WS: Dann gehen wir die Einzelpunkte doch einmal durch. Fangen wir an mit Russland: Da haben wir ja in den letzten Tagen große Aufregungen erlebt. Es sah ein wenig sogar nach einem möglichen Krieg, nach einer Eskalation mindestens militärischer Art aus, jetzt scheinen die Russen wieder abzuziehen. Waren Sie da mit den Amerikanern einig?

HM: Ja, also das waren wir und zwar zu jedem Zeitpunkt. Wir haben beide Seiten ermahnt diese Situation nicht zu eskalieren, vor allen Dingen nicht mehr militärisch zu eskalieren. Wir haben uns innerhalb der NATO, innerhalb der Europäischen Union sehr eng abgestimmt. Wir haben uns auch mit den G7-Staaten abgestimmt und ich bin sehr froh, dass es in Moskau jetzt die Entscheidung gegeben hat, Truppen wieder zurückzuverlegen, denn ich glaube nicht, dass eine der beiden Seiten ernsthaft vor hatte unmittelbar einen militärischen Konflikt zu riskieren. Aber wie das heute so ist, wenn viel Militär in einem begrenzten Raum zusammengeführt wird, besteht immer auch die Gefahr von unbeabsichtigten Eskalationen und in der Ukraine haben wir jetzt ja nicht nur mit der Ukraine und Russland zu tun, sondern auch noch mit den Separatisten in der Ost-Ukraine, die offensichtlich ein Interesse daran hatten, dass die Situation militärisch eskaliert. Das wird jetzt nicht so sein, und das ist eine außerordentlich gute Entwicklung und jetzt sollten wir uns wieder den Themen widmen, mit denen wir es da zu tun haben. Und wo Deutschland und Frankreich im sogenannten Normandie-Format auch eine besondere Rolle übernommen hat, nämlich zu versuchen den Konflikt in der Ost-Ukraine zu lösen und ich glaube, das ist auch die Voraussetzung dafür, dass sich etwa das strategische Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union auch wieder besser entwickeln kann. 

WS: Naja, aber dieser Minsk-Prozess oder dieses Normandie-Format… alles ist ja praktisch auf Null zurückgedreht und das inzwischen seit Jahren. Woraus würden sie denn Ihren Optimismus hier ableiten? 

HM: Also ich finde nicht, dass alles auf Null zurückgeführt ist. Es gibt einen Waffenstillstand, der bedauerlicherweise in der letzten Zeit wieder öfter verletzt worden ist. Es gibt Entscheidungen, die zu Gefangenenaustausch geführt haben. Wir arbeiten sehr eng an Fragen der Entflechtung an der Contactline, aber wichtig ist, dass die eigentlichen Ziele, nämlich dass man zu einer abschließenden Lösung kommt, wie es in der Ost-Ukraine weiter geht, wie sie verwaltet wird, wie Wahlen stattfinden, wer wo an der Grenze, die auch militärische Kontrolle übernimmt, da gibt es seit langem keinen Fortschritt. Und vielleicht ist die schwierige Situation, die wir gerade erlebt haben an der Grenze, vielleicht auch ein Signal an alle Seiten dafür zu sorgen, dass wir uns jetzt wieder verstärkt diesen Fragen widmen müssen im Normandie-Format. Ich bin mit meinem französischen Kollegen sehr intensiv im Gespräch, die Kanzlerin sowohl mit dem ukrainischen Präsidenten als auch dem russischen Präsidenten –  insofern ja, dieses Format und auch der Minsk-Prozess sind an einem kritischen Punkt und deshalb glaube ich, wird sich jetzt sehr schnell zeigen, ob es dort noch einmal Bewegung geben wird und das wir die Minsker Vereinbarung irgendwann dann auch vollständig umgesetzt haben, von beiden Seiten, oder eben nicht. Wenn nicht, läuft das alles darauf hinaus, dass wir uns mit einem frozen conflict zu tun haben und das wollen wir unter allen Umständen verhindern.

WS: Aber eine der wesentlichen Unterschiede zwischen Trump und Biden ist ja, dass Biden sehr hart mit Moskau umspringt, Sanktionen verhängt hat, Diplomaten rausgeschmissen hat und Putin einen „Killer« genannt hat, öffentlich. Da haben wir alle erst einmal gezuckt, Sie auch?

HM: Also ich habe das wahrgenommen und habe zumindest mal gehofft, dass es nicht dazu führt, dass alles noch schwieriger wird, als es ohnehin schon ist. Ich habe aber genauso wahrgenommen, dass Präsident Biden auch einfach mal zum Telefonhörer gegriffen hat und Präsident Putin angerufen hat, ihm sogar angeboten hat, dass man sich persönlich trifft. Also das ist, glaube ich, auch die Strategie der Vereinigten Staaten, sehr outspoken zu sein in allen Fragen, die Russland betreffen, auch die Konflikte, die wir mit Russland haben, aber immer auch ein Dialogangebot zu machen und das halte ich für richtig. Das ist ein Weg, so wie wir ihn in der Europäischen Union ja auch gehen, ich glaube es gibt dazu auch keine vernünftige Alternative und ich glaube, es wäre außerordentlich hilfreich nicht bilateral – nur zwischen Russland und den USA – wenn es zu diesem direkten Aufeinandertreffen kommt, zu einem Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin, sondern das wäre für viele internationale Konflikte, und das wäre für die Welt insgesamt ein sicherlich sehr sehr positives Ereignis. 

WS: Herr Maas, man kann natürlich nicht über Russland und Washington und Berlin reden ohne das Stichwort Nordstream 2 zu erwähnen. Sie haben immer gesagt, das wird, egal wie sag ich mal interpretierend, weitergebaut. Bleibt es dabei?

HM: Also das ist die Haltung der Bundesregierung und wenn es nach uns geht, ist das auch so. Ich halte den Gedanken, der hier anscheinend dem zugrunde liegt, dass man dieses Projekt beenden soll, bevor es fertig gestellt ist; also die Frage, soll man überhaupt noch wirtschaftliche Beziehungen zu Russland unterhalten, soll man überhaupt noch Geschäfte mit Russland machen, für schwierig. Ich glaube, dass das uns nicht weiterführen wird. Wir können nicht auf der einen Seite eine Debatte führen über das Decoupling gegenüber China, und mit Russland darf man überhaupt keine Geschäfte mehr machen. Das würde im Ergebnis dazu führen, dass man Russland und China immer weiter zusammen treibt. Und es hat ja auch ein Treffen gegeben zwischen dem russischen und dem chinesischen Außenminister, indem man den Schulterschluss gegenüber dem Westen proklamiert hat. Das ist keine gute Entwicklung, damit schafft man den größten wirtschaftlichen und militärischen Komplex auf der Welt. Das kann nicht in unserem Interesse sein, das hielte ich sogar geostrategisch für gefährlich und deshalb finde ich: Ja, es muss auch möglich sein mit Russland wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten und Nordstream 2 ist ein Projekt in diesem Rahmen.

WS: Die neue amerikanische Regierung ist ja sehr pro-NATO. Das hat sie ja sehr demonstrativ immer wieder gesagt in den letzten hundert Tagen und der Präsident wird ja voraussichtlich auch im Juni sogar zum NATO-Gipfel nach Brüssel kommen. Ist der Eindruck richtig, dass man nicht mehr so demonstrativ in Richtung Berlin auf dem zwei Prozent Ziel herumreitet?

HM: Also zumindest ist das in den Gesprächen, die ich mit meinem amerikanischen Kollegen mittlerweile geführt habe, und es sind auch schon einige, kein Thema gewesen, das uns beschäftigt hat. Wir haben über Afghanistan geredet, wir haben über den Iran geredet, wir haben über den Jemen geredet. Das ist eine Verpflichtung für Deutschland gibt, ist klar! Wir haben auch immer gesagt, dass wir dazu stehen. Wir haben auch einen Plan vorgelegt, wie wir Schritt für Schritt dieses Ziel erreichen wollen und ich bin eigentlich froh, dass die doch aggressive Rhetorik, die wir in der Vergangenheit aus Washington gehört haben, die auch völlig ausgeblendet hat, wie sehr wir mittlerweile international auch bei der NATO Verantwortung übernommen haben, auch bei NATO Missionen, dass es überhaupt keine Rolle mehr gespielt hat. Das scheint der Vergangenheit anzugehören und das halte ich auch für richtig. Es gibt wichtige Themen, mit denen wir uns innerhalb der NATO auseinander setzen, wir reden über einen Reflexionsprozess, wir wollen die NATO modernisieren, wir wollen die politische Abstimmung innerhalb der NATO verbessern. Das tun wir alle sehr sehr intensiv mit unseren amerikanischen Freundinnen und Freunden und das ist, wie ich finde, der richtige Weg.

WS: Sie haben es ja gerade noch mal gesagt, es bleibt aber bei dem zwei Prozent Ziel. Und sagen sie als Sozialdemokrat das auch in diesem Wahljahr?

HM: Ja, ich habe es ja jetzt gesagt und ich werde es auch weiterhin sagen. Wir haben einen Plan vorgelegt, wie wir unsere Ausgaben schrittweise erhöhen wollen, bis erst einmal im Jahr 2024. Wir sind jetzt schon weiter, als darin eigentlich vorgesehen und wer sich die Bundeswehr auch anschaut, der wird sehr schnell feststellen können, dass es dabei nicht um Aufrüstung geht, sondern um Ausrüstung. Da gibt es erheblichen Handlungsbedarf und dafür müssen wir auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.

WS: Sie haben das Stichwort „Afghanistan“ genannt, auch da hat Biden ja eine sehr klare Entscheidung getroffen: Also raus bis zum September und die Bundeswehr wird dem ja folgen, vielleicht sogar früher schon. Geben wir das Land damit endgültig auf?

HM: Naja, wenn man nach 20 Jahren irgendwann eine Entscheidung trifft, sein militärisches Engagement zu beenden, dann finde ich, kann man da nicht hinein interpretieren, dass wir irgendetwas aufgeben. Wir selber haben unser deutsches Bundeswehrmandat verlängert, ja bis Ende Januar nächsten Jahres. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es im Bundestag noch einmal eine Mehrheit geben würde, das überhaupt darüber hinaus zu verlängern, deshalb war für uns eigentlich immer klar, dass der Abzug auch der deutschen Soldatinnen und Soldaten sich in diesem Zeitraum vollziehen muss, das haben wir jetzt mit den Amerikanern abgestimmt, das werden wir jetzt auch gemeinsam operationalisieren und wir werden genauso engagiert in Afghanistan bleiben als Deutschland. Wir stellen jedes Jahr rund 480 Millionen Euro zur Verfügung für zivile Aufbauhilfe, das muss auch weitergehen. Wir sind engagiert und unterstützen den innerafghanischen Friedensprozess, die Verhandlungen in DOHA, das muss jetzt auch intensiviert werden, dass solange die NATO-Streitkräfte dort noch sind, auch so viele Ergebnisse wie möglich erreicht werden, damit auch nach dem Abzug der NATO-Einheiten dieses Land eine friedliche Zukunft haben kann.

WS: Das ganz große Thema, das war bei Trump schon so, ist bei Biden jetzt auch wieder so, das heißt China. Natürlich hängen auch die USA sehr stark in der Handelspolitik mit China zusammen, wir tun das auch. Haben Sie da eine gemeinsame Position was China angeht?

HM: Ich würde mal sagen: wir arbeiten daran. Also mit der Trump-Administration war es so, dass uns niemand gefragt hat, was wir von den Maßnahmen halten, die während dieser vier Jahre in die Wege geleitet worden sind. Ich habe mit meinem neuen Kollegen gesprochen und wir sind uns darüber einig gewesen, dass es viel Übereinstimmung gibt in den Strategien, die wir in Deutschland, in Europa haben, aber auch in Washington, gegenüber China und dass wir auch Interessen haben, jeder hat wirtschaftliche Interessen. Es wäre ja doch sehr heuchlerisch das auszublenden, aber wir haben auch klare Anforderungen, wenn es um die Fragen Menschenrechte geht, Freiheitsrechte mit Blick auf Hongkong, mit Blick auf die Uiguren und wir sind, glaube ich, alle gut beraten, wenn wir es schaffen eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, weil ich glaube, dass die auch viel effektiver gegenüber Peking sein würde, als wenn die Vereinigten Staaten und wir in Europa, jeder da unabgestimmt sein eigenes Ding machen würde. 

WS: Und dennoch… sagen Sie wir sind da nahtlos auf derselben Linie als die großen Handelspartner, bei uns hängt ja extrem viel daran, dass die Handelsbeziehungen mit China nicht völlig zerstört werden. 

HM: Ja das ist auch so, das sagen wir auch so. Deshalb halten wir diese Strategie des Decouplings für falsch. Wir glauben nicht, dass man China in einer globalisierten Weltwirtschaft isolieren kann und auch isolieren sollte. Das würde auch nicht unseren wirtschaftlichen Interessen entsprechen, aber wir müssen bei den Wertefragen noch deutlicher als das bisher der Fall ist, gegenüber China auftreten und das gemeinsam. Die Tatsache, dass die Europäische Union vor wenigen Tagen Wirtschaftssanktionen verhängt hat gegenüber China, also, dass wir die Listungen vorgenommen haben von Einzelpersonen, die wir für verantwortlich halten für die Menschenrechtsverletzungen der Uiguren in Shenyang. Das ist das erste Mal seit über 30 Jahren gewesen, dass einzelne Personen herausgegriffen worden sind und die wirtschaftlich sanktioniert wurden, also insofern sieht man, dass die Europäische Union auch deutlich mehr outspoken ist gegenüber China. Das sieht man ja auch an den Reaktionen in Peking. Also, da nähern wir uns an. Das halte ich auch für richtig und für nötig, sich dort mit den Vereinigten Staaten sehr sehr eng abzustimmen und deshalb bin ich eigentlich guter Dinge, dass es uns gelingen wird, auch mit Blick auf China, endlich wieder zusammenzuarbeiten. Vor allen Dingen in den Fragen, die uns ganz besonders wichtig sind, dass nämlich Entwicklungen wie in Hongkong oder in Shenyang mit den Uiguren, von der Welt und Staatengemeinschaft, zumindest der Westlichen, so nicht akzeptiert werden kann.

WS: Ein kurzer Blick noch auf das andere große Thema, wo wir alle, also wir der Westen, auch Deutschland, im selben Boot sitzen mit den USA, das ist der Umgang mit dem Iran-Atomdeal. Es gibt ja inzwischen Gespräche darüber – gute Nachricht – aber wo sind wir da in diesem Prozess?

HM: Also, dass es diese Gespräche gibt und dass daran auch mittelbar die Vereinigten Staaten beteiligt sind, ist wirklich schon einmal eine sehr sehr gute Nachricht. Präsident Biden hat klar gemacht, dass er bereit ist zurückzukehren in dieses Abkommen, wenn der Iran seine Verpflichtungen aus diesem Abkommen alle konsequent auch wieder einhält und auch angeboten, dass die Vereinigten Staaten die Sanktionen, die gegen den Iran verhängt worden sind von Präsident Trump, Stück für Stück wieder aufheben wird. Darüber sprechen wir zurzeit mit allen Partnern dieses Abkommens in Wien. Das sind sehr sehr schwierige Gespräche, die stehen natürlich auch unter dem Einfluss der innenpolitischen Entwicklung im Iran. Dort wird demnächst gewählt und deshalb haben wir großen Zeitdruck, innerhalb der nächsten Wochen zu einem Ergebnis zu kommen. Weil ich ansonsten befürchte, dass das aufgrund des innenpolitischen Drucks im Iran, dort gibt es fundamentalistische Kräfte, die dieses Abkommen zu Fall bringen wollen und deshalb ist der Zeitdruck groß. Die Gespräche in Wien sind aber sehr konstruktiv. Im Moment sind alle Verhandlungsdelegationen in ihre Hauptstädte zurückgekehrt, um sich mit den Regierungen abzustimmen, man wird sich dann dort wieder treffen. Und ich glaube, dann werden wir auch einen Eindruck darüber haben, ob es gelingen wird den Iran auch wieder dazu zu bringen, seine Verpflichtungen aus diesem Abkommen einzuhalten und damit zu gewährleisten, und das ist der wichtigste Punkt für uns, dass man sicher sein kann, dass der Iran nicht in den Besitz einer Atombombe kommt.

WS: Letzte Frage und die geht an den Sozialdemokraten Heiko Maas: Der amerikanische Präsident hat ja angekündigt, dass er möglicherweise ganz heftig an der Steuerschraube drehen will, um seine großen Projekte zu finanzieren;  an der Steuerschraube drehen, nach oben! Wird er nicht sozialdemokratischer als die SPD hierzulande?

HM: Also Steuerfragen sind natürlich auch für uns immer ein Thema. Das was Präsident Biden angekündigt hat und das ist ein Thema, das wir schon lange auf die Tagesordnung gesetzt haben, das internationale Konzerne sich nicht aus ihrer Steuerverpflichtungen herausziehen können, das müssen wir gewährleisten, das große Unternehmen, die weltweit tätig sind, sich nicht dort ansiedeln, wo sie am wenigsten oder gar keine Steuern zahlen müssen. Das ist ein Thema, mit dem wir uns schon lange beschäftigen und es hat uns sehr gefreut, dass wir mit Präsident Biden bei diesem Thema jetzt auch einen echten Mitstreiter haben werden, weil das ganz einfach die Chancen erhöht, bei dem Thema endlich mal weiter zu kommen. 

WS: Das war der Blick des deutschen Außenministers auf „100 Tage Biden“! Ganz herzlichen Dank dafür an Heiko Maas und wir werden das gleich in unserer Diskussion mit weiteren Experten vertiefen. Herzlichen Dank an Sie!

HM: Danke Ihnen, Herr Sonne.

Moderation:

Werner Sonne

Journalist und Autor

Werner Sonne begann seine Karriere 1964 als Zeitungsredakteur und Reporter beim Kölner Stadtanzeiger. Im Anschluss daran arbeitete er für United Press International (UPI) in Bonn, bevor er zwischen 1968 und 1981 dreizehn Jahre lang als Korrespondent für den WDR in Bonn und Washington tätig war. Im Jahr 1982 wurde Sonne Stellvertretender Chefredakteur der Landesprogramme im WDR-Fernsehen in Köln. Nach 1984 war er zwanzig Jahre lang als Korrespondent der ARD in Warschau, Bonn, Washington und zuletzt in Berlin tätig. Von 2004 bis 2012 war er Berliner Studioleiter des ARD-Morgenmagazins.

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