Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

„Putin hat uns längst den Krieg erklärt“

Nico Lange fordert strategisches Umdenken in Deutschland

Kassel – Mit deutlichen Worten hat der Sicherheitsexperte und Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz Nico Lange am 7. Mai bei einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Kassel ein unverhohlenes Lagebild gezeichnet: „Wir sind bereits in einem Krieg, den uns Putin erklärt hat.“ Die politische und gesellschaftliche Reaktion in Deutschland sei darauf bislang unzureichend – ein Zustand, den Lange als gefährlich bezeichnete.

Von der Illusion zur Realität: Deutschland im geopolitischen Tiefschlaf

Er eröffnete seinen Vortrag mit einem Rückblick auf das vielzitierte „Ende der Geschichte“, das der Politologe Francis Fukuyama nach dem Kalten Krieg proklamierte – ein Irrtum, wie sich heute zeige. „Wir dachten, wir könnten uns zurücklehnen, aber in Wahrheit haben wir einfach die Augen vor der Weltlage verschlossen“, so Lange. Heute seien andere Staaten technologisch und geopolitisch an Deutschland vorbeigezogen: „Wir erleben eine Zeitenwende nicht, weil wir sie beschlossen hätten – sondern weil wir uns endlich eingestehen müssen, wie sehr wir geschlafen haben.“

„Die Ukraine zeigt, dass Russland unter Druck gesetzt werden kann.“ Es sei ein „mentales Gefängnis“, zu glauben, Russland sei unbesiegbar; erklärte Nico Lange während seines Vortrags. 

Neue Weltordnung: China, Russland und die Selbstbezogenheit der USA

Lange analysierte die geopolitische Entwicklung der vergangenen Jahre – von Putins aggressiver Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 über Chinas Strategie des „Wandels durch Abhängigkeit“ bis zur zunehmenden Selbstbezogenheit der USA. Daraus ergebe sich für Europa und Deutschland eine klare Konsequenz: „Wir müssen selbst Macht aufbauen, Abschreckung wieder lernen und den Willen zeigen, unsere Freiheit zu verteidigen – auch mit Waffen.“

Putins hybrider Krieg gegen Europa

Russlands Krieg gegen die Ukraine sei nicht nur ein regionaler Konflikt, sondern ein Angriff auf das westliche Wertefundament. Putin betreibe seit 2014 Krieg gegen Europa – zunächst hybrid, dann auch offen militärisch. In Deutschland finde russische Propaganda Eingang in den öffentlichen Diskurs.

Schluss mit der Abhängigkeit von den USA

„Wir dürfen nicht länger auf die USA warten“, betonte Lange. Deutschland müsse nicht nur militärisch aufholen, sondern auch geistig und strategisch. Notwendig sei ein neuer Umgang mit Verantwortung, Verteidigung und Führung. „Wer sich nicht verteidigt, wird Opfer sein“, warnte Lange. Der Ruf nach Wehrpflicht oder mehr Geld reiche nicht aus – es brauche mutige strukturelle Reformen, wie etwa eine nationale Rüstungsagentur oder ein Ende der bürokratischen Überplanung in der Bundeswehr.

Der Vortrag von Nico Lange fesselte das Publikum im gut gefüllten Bürgersaal des Kasseler Rathauses.

Europäische Kooperation statt bürokratischer Kleinmut

Besonders betonte Lange die Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit: „Nicht 82 Spiegelstriche auf Millimeterpapier, sondern echte Fähigkeiten, glaubwürdige Abschreckung.“ Die Ukraine müsse gewinnen – nicht irgendwann, sondern mit klar definiertem Ziel und dem politischen Willen, die nötigen Mittel bereitzustellen.

Russland ist nicht unbesiegbar

Auch die oft gestellte Frage, ob Russland überhaupt besiegt werden könne, beantwortete Lange eindeutig: „Die Ukraine zeigt, dass Russland unter Druck gesetzt werden kann.“ Es sei ein „mentales Gefängnis“, zu glauben, Russland sei unbesiegbar. Viel gefährlicher als russische Stärke sei dessen Rücksichtslosigkeit und das Menschenbild, das sich in Putins Kriegführung zeige.


Abschreckung braucht Mut – und Führung

Zum Schluss rief Lange zu einer mentalen und politischen Wende auf: „Abschreckung kann man nur aufbauen, wenn man die Angst überwindet. Und das schaffen die Ukrainer – dann müssen wir das auch können.“

Nico Langes Botschaft an die Bundesregierung lautete: Nicht weiter debattieren, sondern handeln. Hier in der Diskussion mit Moderator Jürgen Fischer (re.)


Empfehlungen an die Bundesregierung: Führung, Vereinfachung, Umsetzung

Auf die Frage, welche konkreten Maßnahmen er der Bundesregierung zur Verbesserung der sicherheitspolitischen Lage empfehlen würde, antwortete Lange mit einer klaren Diagnose: „Nicht mehr Geld, sondern mehr Mut zur Entscheidung.“ Es gehe nicht um neue Programme oder Symbolpolitik, sondern um entschlossenes Handeln.

Er plädierte dafür, jüngere und führungsstarke Offiziere schneller in verantwortungsvolle Positionen zu bringen: „100 Generäle tun es auch – wir müssen die richtigen Leute befähigen, nicht die gleichen Strukturen zementieren.“ Das System der Planung und Beschaffung innerhalb der Bundeswehr beschrieb er als überkompliziert und praxisfern: „Wir spielen Lego, während andere Armeen Kriege vorbereiten.“

Anstelle weiterer Konzeptpapiere forderte Lange die Einrichtung einer nationalen Rüstungsagentur, die jenseits der bisherigen Behördenlogik effizient Beschaffungsvorhaben umsetzen könne. Schlagworte wie „Resilienz“ oder „Gesamtverteidigung“ müssten endlich mit konkreten Inhalten gefüllt werden – und vor allem geübt werden.

„Wir brauchen keine 100 Papiere, sondern Ergebnisse“, so Lange. Als Beispiele nannte er Führerscheine und Ersatzteillager auf Bataillonsebene, ausreichend Personal für Transport und Verlegefähigkeit sowie klare politische Ansagen zur Prioritätensetzung.

Seine Kernbotschaft an die Bundesregierung lautete: Nicht weiter debattieren, sondern handeln. Nicht auf den Konsens aller warten, sondern Mehrheiten organisieren und Entscheidungen treffen. Nur so lasse sich glaubwürdige Abschreckung erreichen – und letztlich der Frieden sichern.


Technologie als Ausgleich zur Unterlegenheit

Auf die Frage, ob Russland militärisch besiegbar sei, antwortete Lange: Ja – die Ukraine beweise es. Sie gleiche ihre zahlenmäßige Unterlegenheit durch technologische Innovationen wie Drohnen aus. Entscheidend sei der Wille zum Widerstand, nicht die pure Masse. „Man muss Angst vor der absolut rücksichtslosen russischen Art Krieg zu führen haben, die unserem Verständnis von Menschenwürde zuwider läuft“, so Lange. Dass dieser Weg Opfer fordern werde, müsse klar ausgesprochen werden. Und zwar, so Lange, „indem wir im ganzen Land miteinander respektvoll und in fußgängerzonentauglicher Sprache diese kritischen Themen diskutieren“.

Ein Beitrag von:

Jürgen Fischer

Chefredakteur, Europäische Sicherheit & Technik

Jürgen Fischer ist ein erfahrener Kommunikationsprofi mit umfassender Expertise in der Medienbranche und im politisch-parlamentarischen Umfeld. Zuvor war er als Leiter des Fachbereichs Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung tätig und beriet den Regierungssprecher in sicherheitspolitischen Fragen.
Seit November 2024 leitet er die Regionalvertretung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Nordhessen.
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Krisenkommunikation und Medienarbeit verbindet Jürgen Fischer fundiertes Wissen mit Leidenschaft für Sicherheitspolitik und strategische Kommunikation. Seine vielseitige Karriere macht ihn zu einer zentralen Stimme im sicherheitspolitischen Diskurs.

Arndt Kleesiek

Friedrichsgymnasium Kassel
Zu Gast:

Nico Lange

Senior Fellow, Münchener Sicherheitskonferenz (MSC)

Nico Lange ist Senior Fellow Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz und Senior Fellow for Transatlantic Security and Defense beim Center for European Policy Analysis in Washington D.C.
Er war von 2012 bis 2017 in Leitungspositionen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), danach tätig in der Saarländischen Staatskanzlei und in der Zentrale der CDU. Bis 2022 war Lange Leiter des Leitungsstabs im Bundesministerium der Verteidigung und Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Seit 2022 arbeitet er für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

Moderation:

Jürgen Fischer

Chefredakteur, Europäische Sicherheit & Technik

Jürgen Fischer ist ein erfahrener Kommunikationsprofi mit umfassender Expertise in der Medienbranche und im politisch-parlamentarischen Umfeld. Zuvor war er als Leiter des Fachbereichs Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung tätig und beriet den Regierungssprecher in sicherheitspolitischen Fragen.
Seit November 2024 leitet er die Regionalvertretung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Nordhessen.
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Krisenkommunikation und Medienarbeit verbindet Jürgen Fischer fundiertes Wissen mit Leidenschaft für Sicherheitspolitik und strategische Kommunikation. Seine vielseitige Karriere macht ihn zu einer zentralen Stimme im sicherheitspolitischen Diskurs.

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