Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

NATO TALK 2019

Bericht von der NATO Talk Konferenz 2019.

Unter dem Motto »NATO AT 70 – NO TIME TO RETIRE« debattierten zahlreiche Expertinnen und Experten aktuelle Herausforderungen und Zukunftsaussichten der NATO. Im Rahmen der Veranstaltung hielt die Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer, einen Impuls-Vortrag »Mutig, innovativ, und verlässlich: für eine Zukunft der NATO«.

Beim NATO-Talk 2019 der Deutschen Atlantischen Gesellschaft (DAG) und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) konnten knapp 500 Gäste den spannenden Panels folgen. Schon als Bundesminister a.D. Christian Schmidt MdB und Botschafter Ekkehard Brose als Präsidenten der Gastgeber DAG und BAKS die Konferenz eröffneten, waren die Räumlichkeiten im Besucherzentrum des Bundespresseamts sehr gut gefüllt. Dies sollte über den gesamten Vormittag so bleiben und am Nachmittag konnten zahlreiche Gäste den Impulsvortrag von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nur noch im Stehen verfolgen. Im Jahre des 70. Jubiläums der NATO und in geo- und außenpolitisch äußerst aufregenden Zeiten, bot der »NATO Talk« am 11. November 2019 ab 9.30 Uhr einen angemessenen Rahmen, einen Befund über den aktuellen Zustand der NATO auszuarbeiten und zu diskutieren wie die Zukunft des Bündnisses aussehen sollte. 

Im ersten Impulsgespräch, welches der Autor und u.A. aus dem MoMA bekannte Journalist Werner Sonne mit Dr. Claudia Major (SWP), dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz Botschafter Prof. Dr. Wolfgang Ischinger und dem Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Thomas Silberhorn führen durfte, konnte die sicherheitspolitische Debatte an Fahrt aufnehmen. Aufgrund der aktuellen Brisanz durch die Bezeichnung der NATO als „hirntot“ durch den französischen Präsidenten Macron, waren die Zuschauer besondern erfreut, dass die Französische Botschafterin Anne-Marie Descôtes kurzfristig noch für die Konferenz gewonnen werden konnte. Die Botschafterin betonte zunächst, dass ihr Präsident mit der Aussage versucht habe, die müde Debatte zu beleben. 

Dabei solle es, so Descôtes, weniger um eine theoretische Debatte gehen, als darum, den Inhalt der gemeinsamen Sicherheitsinteressen auszuhandeln. Deutschland müsse diesbezüglich konkreter werden. Descôtes stellte klar, dass eine starke NATO aus der Sicht Frankreichs unverzichtbar sei und betonte dabei, dass am Frieden ständig gearbeitet werden müsse. Ähnlich sah letzteres auch der ehemalige Botschafter Ischinger und forderte eine Diskussion über die Frage, wie man trotz unterschiedlicher nationaler Selbstverständnisse eine gemeinsame Positionierung für die Zukunft finden könne. Er schlug eine gemeinsame deutsch-französische Kommission vor, um die europäische Handlungsfähigkeit zu verbessern. 

Staatssekretär Silberhorn merkte an, dass die Stabilität in Europa auch die der europäischen Nachbarschaft voraussetze. Man müsse eine globale Perspektive einnehmen und die Zusammenarbeit unter Demokraten weltweit zu verbessern. Dr. Major forderte, man müsse auch die ost- und mitteleuropäischen Staaten mitnehmen, blieb dabei insgesamt jedoch eher skeptisch bezüglich neuer Institutionen, da diese generelle Fragen strategischer Natur ihrer Meinung nach häufig nicht lösen könnten. Frau Dr. Major stellte auch die Frage in den Raum, wie die weitere Partnerschaft mit den USA aussehen solle, für die das nächste Panel die passenden Experten bereit hielt.

Unter der Überschrift „Ein neuer transatlantischer Deal?“ diskutierten nämlich Frank A. Rose (Senior Fellow für Sicherheit und Strategie im außenpolitischen Programm der Brookings Institution), Tomáš Valášek (Direktor von Carnegie Europe) und Siemtje Möller MdB (Stv. Sprecherin der AG Sicherheits- und Verteidigungspolitik der SPD-Fraktion) unter der Leitung von Dr. Jana Puglierin (Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen, DGAP). Rose kritisierte, dass sich der Westen für 30 Jahre in einer Art strategischer Ferien befunden habe. Er müsse gegenüber Russland und China dringend wieder aufholen. Vor allem Deutschland spiele hier für die nuklearen Entscheidungen der NATO eine zentrale Rolle. Die Allianz von USA und Europa seien vor diesem Hintergrund besonders wichtig, auch wenn das bei Trump selbst nicht immer deutlich würde. Tomáš Valášek hielt fest, dass die Frage nach einer Spaltung der NATO so alt wie die NATO selbst sei und sprach sich gegen ein koordinierteres Europa als Alternative zur NATO aus. Eine Europäische Verteidigung außerhalb der NATO sei für die nächsten Jahrzehnte nicht realistisch, weshalb man auf die USA zählen müsse. Siemtje Möller machte klar, dass sie es für sehr wichtig hält, sich in besonnener Art und Weise zu verständigen und ruhiger an die Sache heranzugehen, was auch in der Presse nicht immer der Fall sei. Bezüglich der Finanzierungsdebatte der NATO hielt sie fest, dass das deutsche Verteidigungsbudget sich in den letzten Jahren schon fast verdoppelt hätte und dies deshalb nicht das zentrale Problem sein könne. Nicht die durch das Zugeständnis der NATO-Mitglieder vom 2002er NATO-Gipfel in Prag gestarteten, 2% ihrer jeweiligen BIPs in Verteidigung zu investieren müsse im Mittelpunkt stehen, sondern vor allem die Verbesserung gemeinsamer Prozesse. Einig waren sich immerhin alle darüber, dass die neue aktuelle Diskussion um die Sicherheitspolitik in der europäischen Öffentlichkeit wichtig ist und intensiviert werden sollte.

Nach der Mittagspause wurde der Jürgen Bornemann NATO’s Future Preis – in Gedenken an das verstorbene Vorstandsmitglied der Deutschen Atlantischen Gesellschaft – durch Botschafter Klaus Scharioth an Peer Klaus Braak überreicht. Der Gewinner des durch die Youth Atlantic Treaty Association (YATA) Germany ausgeschriebenen Essaywettbewerbs gewann die Teilnahme an der DAG-Delegationsreise nach Washington Ende November.

Im Nachmittagspanel „Die Zukunft Europas?“ moderierte Botschafter Brose eine Debatte mit der geballten NATO-Kompetenz auf der Bühne. Botschafterin Muriel Domenach (Ständige Vertretung Frankreichs bei der NATO), Sir Adam Thomson (Direktor, European Leadership Network), Janusz Reiter (Ehemaliger Botschafter Polens in Deutschland; Vorstandsvorsitzender und Gründer des Zentrums für Internationale Beziehungen Warschau) und Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß (Beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung, 2013–2018) waren sich einig darüber, dass NATO und Europa komplementär zur Sicherheit beitragen müssten. Der Syrienkonflikt hätte als eine Art „gamechanger“ verdeutlicht, wie wichtig ein begrifflich wie geographisch erweiterter Sicherheitsbegriff sei. Man müsse sich selbst um die Sicherheit in Europas Hinterhof kümmern. Dies heiße allerdings nicht, dass man sich nicht mehr auf die USA verlassen könne, so die Botschafterin. 

Auch Sir Thomson sah das ähnlich und stärkte argumentativ die NATO, die alleine dazu in der Lage wäre, die nötige Planungskultur aufbringen. Er forderte die Verbesserung der Einsatzbereitschaft durch einfache Maßnahmen bei Beschaffung und Logistik. Seiner Meinung nach sollten die kurzzeitigen Policies zugunsten der großen Fragen um Europas Zukunft in 15–20 Jahren in den Hintergrund geraten. Dafür müssten Pläne erarbeitet und Ressourcen bereitgestellt werden, welche potenziell zwar nicht politisch glamourös, dafür aber äußerst notwendig seien. Janusz Reiter stimmte dem zu und stellte die These auf, dass Respekt in der Welt nur durch Stärke erlangt werde und dass diese Stärke in der Zukunft nicht national sondern europäisch organisiert werden müsse. Dafür seien auch die USA wichtig, von deren aktueller Sprache man sich nicht entmutigen lassen dürfe die transatlantischen Beziehungen zu stärken. Europa müsse seiner Meinung nach selbst eine Sprache der Stärke entwickeln. Generalleutnant a.D. Brauß will zur Stärkung Europas nicht nur die einzelnen Nationen stärken sondern mit der CSDP auch die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik. Das beinhalte neben Grenzsicherung und Fähigkeitsaufbau bei Partnern der EU auch Krisenmanagement. Benötigt würden also die sich gegenseitig ergänzenden NATO und EU, beide an der Seite der USA, denen gegenüber man sich wieder als wertvoller Partner darstellen müsse. Die Frage nach den 2% hielt Brauß für verdreht. Man müsse eher fragen, was wir Europäer zu Krisenemanagement und Verteidigung beitragen müssten. Sowohl Botschafterin Domenach als auch Herr Reiter wünschten sich ein stärkeres Deutschland, letzterer betonte aber auch, dass er verstehen könne, dass das in Deutschland ein schwieriges Thema sei. Deshalb sei ein Verteidigungsansatz nötig, welcher nicht allein auf militärischer Macht basiere, diese aber beinhalte.

Als krönender Abschluss kam die Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer in den nun fast schon überfüllten Veranstaltungsraum. Unter dem Titel „Mutig, innovativ, verlässlich: Für eine Zukunft der NATO“ hielt die Ministerin eine grundsätzliche Rede, bevor Sie Fragen von Herrn Brose beantwortete. 

Sie begann ihre Rede – passend zum Datum des NATO Talks 2019 – mit einem Rekurs auf den Mauerfall und gedachte dem Mut der Demonstranten, und all derjenigen, die zum Mauerfall und zur Wiedervereinigung beigetragen hatten. Anschließend berichtete Sie von ihren Erfahrungen und den Unterschieden in Gesprächen über die NATO mit Bürgern im Baltikum und in Deutschland. An diesem Beispiel veranschaulichte sie die unterschiedlichen Standpunkte der Einschätzung der NATO und der Bedrohungswahrnehmung in Ländern in Russlands unmittelbarer Nähe. Sie betonte, dass letztlich auch die Bürger Deutschlands den aktuellen Frieden und Wohlstand der Solidarität der Verbündeten in der NATO zu verdanken hätten. 

Die NATO sei und bleibe für die Europäische Sicherheit ein entscheidender Eckstein, mit einem starken und entscheidenden Beitrag der USA. Auch Frau Kramp-Karrenbauer kritisierte die Hirntod-Aussage Macrons als „zugespitzt und übertrieben“. Die NATO habe vielmehr ein „lebendiges Herz und einen lebendigen Kopf“, es sei aber die Aufgabe der Mitglieder dazu beizutragen, dass dies auch so bleibe. Von alleine könne dies vor dem Hintergrund sich aktuell wandelnder Bedrohungslagen nicht funktionieren. Deshalb müssten die europäischen Staaten zusammenarbeiten und sich über das Verhältnis von Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und NATO Gedanken machen. Diese Debatte hätte es auch vor Trump schon gegeben und es gehe darin nicht um strategische Autarkie und nicht darum die NATO zu ersetzen. Es gehe darum, die Fähigkeit zu entwickeln und als starker europäischer Arm innerhalb der NATO Handeln zu können. Dafür müsse man die Inkompatibilitäten in Europa abbauen, von technischen bis hin zu strategischen und einen gemeinsamen europäischen Gesprächsort schaffen. Diesbezüglich gäbe es schon deutsch-französische Formate an denen man sich orientieren könnte. Auch der NATO Talk kann dazu beitragen.

Überhaupt müsse Deutschland seinen Beitrag leisten, fand die Bundesministerin. Dabei ginge es nicht um Alleingänge oder eine blinde Steigerung von Auslandseinsätzen, sondern darum zu zeigen, dass Deutschland eigene Interessen habe und diese auch formulieren könne. Um Handlungsfähig zu sein, müsse Deutschland seine Verteidigungsausgaben erhöhen. Sie versprach 2024 1,5% des BIP in und bis 2031 dann die von der NATO angestrebten 2% des BIP in Verteidigung zu investieren. Innerhalb der nächsten 12 Jahre sollen außerdem 10% aller Fähigkeiten der NATO aus Deutschland kommen, was dann der deutschen Wirtschaftsstärke entspräche. Frau Kramp-Karrenbauer setze sich weiter für einen „vernetzten Ansatz“ in der Außenpolitik ein. Das bedeute für sie eine zielgenaue Abstimmung aus militärischer Sicherheit, kluger Diplomatie und Entwicklungshilfe. Dafür spiele die Bundeswehr eine zentrale Rolle und werde diesen Weg deshalb auch in der Zukunft weiter verfolgen. Ausdruck dieses vernetzten Ansatzes seien ihre Bestrebungen für die Neuausrichtung eines nationalen Sicherheitsrates. Die bisherige Zurückhaltung in bestimmten Bereichen könne man sich nicht weiter erlauben.

Nach einer kurzen Fragerunde verabschiedete Botschafter Brose die Gäste mit einem Schlusswort. Der NATO Talk 2019 war ein erster Schritt in die richtige Richtung und wurde breit in der Presselandschaft rezipiert. Wir bedanken uns bei allen Beteiligten und insbesondere bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik für die ausgezeichnete Zusammenarbeit.

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