Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

Waffen liefern und verhandeln. Auf den Zeitpunkt kommt es an

Ausgabe 27: Prof. Dr. Karsten Jung

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Das aktuelle „Manifest für den Frieden“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht offenbart, warum die sogenannte „Friedensdebatte“ hierzulande ins Leere läuft: Einmal mehr gründen die Autorinnen ihre Argumentation auf einen behaupteten Gegensatz zwischen Waffenlieferungen einerseits und Verhandlungen andererseits, der so in Wahrheit schlicht nicht existiert. Niemand, der Waffenlieferungen fordert, glaubt ernsthaft, dass Russland militärisch zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen werden kann; schon deshalb sind Verhandlungen natürlich unausweichlich. Es geht also gerade nicht, wie auch in der aktuellen Debatte wieder, um ein „ob“ von Verhandlungen, sondern um das „wie“ – oder besser: das „wann“. Und darauf ist „Verhandlungen jetzt!“ die falsche Antwort.

»Verhandlungen jetzt!« ist die falsche Antwort

Wenn der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden könne, argumentieren die Autorinnen, „warum dann nicht jetzt?“ Die Antwort ist einfach: weil eine Verhandlungslösung auf Grundlage des aktuellen Status quo Millionen Menschen eben nicht „den Frieden“ bringen, sondern sie auf unbestimmte Zeit der Terrorherrschaft russischer Söldner unterwerfen würde. Und gerade deshalb ist es nicht egal, ob Verhandlungen jetzt oder erst später geführt werden. Ihr Ergebnis hängt nämlich immer auch von der beiderseitigen Einschätzung ihrer jeweiligen Erfolgsaussichten und einer einfachen Abwägung ab: Ist es wahrscheinlicher, dass ich meine Ziele auf dem Schlachtfeld oder am Verhandlungstisch erreichen kann? Verhandlungen heute würden naturgemäß ein anderes Ergebnis zeitigen als solche, die vor der ukrainischen Offensive im Osten und den Rückeroberungen im Süden geführt worden wären. Oder vor dem ukrainischen Sieg in der Schlacht um Kiew.

Erst die Erfolge der Ukraine auf dem Schlachtfeld haben ihre Verhandlungsposition so weit verbessert, dass Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer heute überhaupt nach einer Verhandlungslösung rufen können. Und es ist das Ziel westlicher Politik, die Unterstützung so lange fortzusetzen, bis die militärische Lage auch aus Sicht der Ukraine eine akzeptable Friedenslösung möglich erscheinen lässt. Dass Putin nicht aus einer Position der Stärke verhandeln kann, sondern aus der Bedrängnis heraus verhandeln muss, ist gerade Ziel der (militärischen) Unterstützung der Ukraine.

Die Ukraine ist noch nicht »reif« für Verhandlungen

In der Konfliktforschung spricht Ira William Zartman von „ripeness“, wenn er über den richtigen Moment für Verhandlungen schreibt. Dies meint den Zeitpunkt, an dem ein Konflikt „reif“ für eine Verhandlungslösung ist – wenn also beide Parteien die Risiken auf dem Schlachtfeld höher einschätzen als die Chancen am Verhandlungstisch. Dieser Punkt scheint in der Ukraine bisher noch nicht erreicht. Noch ist die Lage für Putin, trotz aller Rückschläge, nicht schlecht genug, noch stehen zu viele widerrechtlich eroberte Gebiete – und Menschen – unter der Kontrolle seiner barbarischen Söldner. Ziel der (auch militärischen) Unterstützung der Ukraine ist es insoweit, deren Position soweit zu stärken, dass am Ende eine (gerade noch) akzeptable Verhandlungslösung stehen kann.

Wie dies gelingen kann, zeigt ein Blick nach Bosnien: Dort wurde, nach Jahren der erfolglosen Vermittlungsbemühungen von europäischer Seite, durch (insbesondere) US-amerikanische Waffenlieferungen und Luftunterstützung die militärische Lage so weit zu Gunsten der bosnisch-kroatischen Föderation gedreht, dass der Druck auf die serbische Seite groß genug wurde, um sie an den Verhandlungstisch zu bringen. Zugleich haben die USA deutlich gemacht, dass die Unterstützung dort enden würde, wo Washington (in etwa) die Bedingungen eines akzeptablen Verhandlungsfriedens erfüllt sah. Genau dieses Ergebnis wurde nach zähen Verhandlungen in Dayton auch diplomatisch festgeschrieben – und es hält (mit all seinen Mängeln) bis heute. Das Erfolgsgeheimnis, fasste der damalige Verhandlungsführer Richard Holbrooke später zusammen, lag gerade in der Verknüpfung und engen Verzahnung von militärischer Unterstützung und diplomatischer Initiative.

Was sind die Bedingungen eines Verhandlungsfriedens in der Ukraine?

Dieser Logik folgt auch die Politik der westlichen Unterstützung für die Ukraine und genau hier müsste auch eine zielorientierte „Friedensdebatte“ ansetzen: Was sind die gerade noch akzeptablen Bedingungen eines Verhandlungsfriedens und welche (militärischen) Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden? In der Ukraine spricht einiges dafür, dass dies zumindest eine dauerhafte Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität über das Territorium sein dürfte, welches sie vor dem russischen Angriff vom 24.02.2022 kontrollierte. An der Erreichung dieses Minimalziels sollte sich die militärische Unterstützung der Ukraine orientieren. Aufgabe der Diplomatie ist es sodann, dieses festzuschreiben und gegen eine mögliche Wiederaufnahme des russischen Angriffs nach einer Konsolidierungsphase wirksam abzusichern. Eine darüberhinausgehende Rückeroberung des bereits vor dem 24.02.2022 russisch kontrollierten Territoriums jedenfalls auf der Krim dürfte hingegen eine Linie markieren, an der westliche Unterstützung – wie seinerzeit in Bosnien – aus stabilitätspolitischen Erwägungen heraus ihre Grenze fände.

Ein Beitrag von:

Prof. Dr. Karsten Jung

Professor für Politikwissenschaft, Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.

Prof. Jung hat in Bonn und Washington D.C. Regionalwissenschaften Nordamerika, Politische Wissenschaft und Völkerrecht studiert. Nach seiner Tätigkeit als Unternehmensberater bei McKinsey & Co. in Berlin kehrte er an die Universität Bonn zurück, um zu promovieren. Dort arbeitete er am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und half bei der Gründung des Center for International Security and Governance. Später arbeitete er als Geschäftsführer bei der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) GmbH. Vor seiner jetzigen Position war er Referatsleiter für Strategische Planung im Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen tätig, wo er fünf Jahre lang arbeitete.

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