Laudatio von Hans-Joachim Gießmann:
Unter diesem Motto stand der diesjährige Essaywettbewerb um den „Jürgen Bornemann NATO‘s Future Preis“, zu dem die Jugendorganisation der Deutschen Atlantischen Gesellschaft: YATA Germany im Sommer 2020 aufgerufen hatte. Teilnehmen konnten junge Leute im Alter bis zu 35 Jahren. Ziel des seit 2019 ausgetragenen Jugendwettbewerbs ist der pointierte Austausch zu wichtigen außen‑, friedens- und sicherheitspolitischen Themen unter besonderem Augenmerk für die Rolle und Aufgaben der NATO als Regionalorganisation unter Kapitel VIII der Vereinten Nationen.
Die fachliche Expertise der jüngeren Generation in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zu fördern, ist unmittelbares Anliegen des Essaywettbewerbs. Namensgeber des Preises ist der 2019 verstorbene ehemalige deutsche Direktor des Internationalen Militärstabes des NATO, Generalleutnant a.D. Jürgen Bornemann, seines Zeichens zugleich Mitglied des Vorstandes der Deutschen Atlantischen Gesellschaft (DAG) und Mitbegründer der NATO- bzw. Atlantic Talk Reihen der DAG.
In der Ausschreibung für den Wettbewerb betonte die Jugendorganisation der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, YATA, dass es in den öffentlichen Diskursen um die Bekämpfung des Klimawandels als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe gelte, eine bislang „weitestgehend außer Acht“ gelassene „sicherheitspolitische Komponente“ einzubringen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die Konsequenzen des Klimawandels in der politischen Praxis der Ministerien sowie bei der operativen Planung und Durchführung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr bereits in Rechnung gestellt würden. Der »vernetzte Ansatz«, dem sich die Sicherheitspolitik der Bundesregierung verschrieben hat und dem auch die NATO folgt, könnte, so die YATA, „nur nachhaltig erfolgreich sein, wenn klimatische Faktoren berücksichtigt werden“ (Ausschreibung). Die Leitfragen für den Essay lauteten vor diesem Hintergrund:
- Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Zukunft der NATO?
- Welche Entwicklungen beeinflussen die Entscheidungsfindung der NATO?
- Wie kann die NATO eine »klimastabile« Handlungsfähigkeit des transatlantischen Bündnisses jenseits der 2030erJahre gewährleisten?
- Welche Prozesse sollten jetzt angestoßen werden, um auch unter den Einflüssen des Klimawandels das oberste Ziel der NATO – Sicherheit und Stabilität auf dem Bündnisgebiet sicherzustellen – mit Blick auf Technik, Personal und gesellschaftlichen Rückhalt langfristig erreichen zu können?
Der Klimawandel und seine Folgen für die Sicherheit
Dass Klimawandel und Sicherheit nicht (mehr) voneinander zu trennen sind, die Perspektive einer erweiterten Sicherheit die Folgen des Klimawandels in Rechnung zu stellen hat, ist natürlich keine neue Erkenntnis.
Bereits vor 30 Jahren beschrieb die internationale Klimaforschung eindringlich und mahnend die Langzeitfolgen des Klimawandels, dabei auch der anthropogenen Mitverantwortung, insbesondere der fixen Idee eines grenzenlosen Wohlstandes durch gleichermaßen grenzenloses Wachstum. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde der bis dahin weltweit auf anthropogene Weise freigesetzte Umfang des Treibhausgases CO2 auf ca. 200 Mrd. Tonnen geschätzt (Brolin 1990: 15). Nach Angaben der Weltorganisation für Meteorologie der Vereinten Nationen (WMO, 23. 11. 2020) wurde 2020, trotz der durch die Covid-19 Pandemie verursachten längeren Einschränkungen in der weltweiten Produktion, ein neuer Höchststand verzeichnet, was für die kommenden Jahre nichts Gutes verheißt – selbst wenn wenigstens die für den Ausstoß von Treibhausgasen hauptverantwortlichen Staaten eine radikale industriepolitische Wende vollzögen. Treibhausgase haben eine Verweildauer von mehreren bis zu Hunderten Jahren, so dass selbst bei abnehmenden Emissionen (wie sie aktuell auch in Folge der Pandemie im westlichen Europa verzeichnet werden) der Zuwachs noch viele Jahrzehnte anhalten wird. Dass die Warnungen der Experten bislang nicht auf ausreichend fruchtbaren Boden fielen, belegt auch die CO2-Bilanz mit harten Fakten. Der Anstieg nimmt seit 1969 beständig zu, erreichte nach den neuesten Zahlen einen Höchstwert von 36,6 Mrd. Tonnen und wird ungeachtet bremsender Maßnahmen bis 2050 weiter anwachsen, auf geschätzt 43,1 Mrd. Tonnen – pro Jahr. Allein seit 1990 ist betrug der prozentuale Anstieg der Erderwärmung nach Angaben der WMO-Experten mehr als 45% (WMO-News a.a.O.). Letztmalig, so der Generalsekretär der WMO, Petteri Taalas, gab es eine vergleichbare Temperatur und CO2-Konzentration in der Atmosphäre vor 3–5 Milliarden Jahren, allerdings bei einem deutlich geringeren Umfang der Weltbevölkerung als heutzutage 7,7 Milliarden Menschen (ebd.) Kohlendioxid ist dabei natürlich nur ein Indikator von mehreren, und nicht alle davon sind allein durch menschliches Handeln verursacht.
Weit überwiegend wird heute in der Klimaforschung geteilt, dass menschliches Handeln den Klimawandel beschleunigt und diese Beschleunigung sich als zunehmendes Problem für die Zivilisation als Ganzes erweist. In vereinfachter physikalischer Sicht wird das Temperaturgleichgewicht auf der Erde durch die Wechselprozesse zwischen einfacher und Infrarotstrahlung aufrechterhalten, wobei letztere – als Wärmestrahlung von der Erdoberfläche reflektiert – durch natürliche Atmosphärenbestandteile wie stratosphärischer Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan, Di-Stickstoffoxid, Fluorkohlenwasserstoffe und Ozon absorbiert und dadurch teilweise an die Erdoberfläche zurückgegeben wird. Gleichzeitig bietet die verwundbare Atmosphärenschicht einen Schutzmantel gegen schädliche kosmische Strahlung. Eine höhere Konzentration der Gase in der Atmosphäre lässt auf größere Rückstrahlung schließen, wodurch – unter anderem – der Effekt des Temperaturanstiegs weltweit zu erklären ist. Klimatische Schwankungen brechen den statistischen Trend nicht, taugen also auch nicht dazu, die klimatischen Langzeitentwicklung und damit verbundenen Folgen zu bestreiten. Dass in Russland der Permafrostboden taut, ozeanische Inseln drohen, im Meer zu versinken, der das Klima in Europa bestimmende Golfstrom abzureißen droht, die Anzahl und Stärke der tropischen Stürme in der Karibik und den Küstenregionen Amerikas zunehmen, die Trockenzonen Afrikas sich ausbreiten und gleichzeitig exorbitante Niederschlagsmengen die Ernten in Südostasien vernichten, sind ebenso unumstößliche wie beunruhigende Fakten.
Die Ursachen des Klimawandels sind vielfältig, etwa die Hälfte der nachgewiesenen Wirkungen waren bisher auf Energieverbrauch und Verkehr zurückzuführen, was die Verantwortung der Industrienationen für die Entwicklung alternativer technischer Lösungen unterstreicht. Nicht geringzuschätzen sind aber auch andere Wirkungen, deren Ursachen auf schlechte Regierungsführung, ökologischen Raubbau oder mangelnde Beherrschung von schädlichen Umwelteinflüssen zurückzuführen sind. Schadenswirkung, verursacht durch eine defizitäre ökologische Präventionsfähigkeit bei gleichzeitig stark ansteigender Nachfrage bedingt unter anderem durch Bevölkerungswachstum und erhöhten Verbrauch, ist jedenfalls dort nicht mit technologischen Alternativen zu vermeiden, wo selbst die verfügbaren Technologien nicht ausreichend beherrscht oder kontrolliert werden.
Die Betroffenheit von den sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels, kann im Vergleich der entwickelten zu den weniger entwickelten Ländern weltweit als umgekehrt proportional zur Mitverantwortung bei den anthropogenen Wirkfaktoren angesehen werden.
Sicherheit und Sicherheitspolitik im Zeitalter des Klimawandels
Das Verständnis von Sicherheit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundsätzlich gewandelt. Die Notwendigkeit einer umfassenderen Betrachtung beschrieb bereits der Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung vor mehr als 30 Jahren wie folgt: „Konflikte können nicht nur aufgrund von politischen und militärischen Bedrohungen der nationalen Souveränität entstehen, sie können ebenso gut ausbrechen infolge von Umweltzerstörungen und des Verspielens von Entwicklungsmöglichkeiten. Das Handeln zur Minderung von Umweltbedrohungen der Sicherheit erfordert eine nationale und globale Neudefinition von Prioritäten. Eine solche Neubestimmung könnte erreicht werden, wenn man sich generell auf eine umfassendere Definition von Sicherheit verständigen könnte und wenn militärische, politische, umweltbedingte und andere Konfliktquellen einbezogen werden.“
Auf den Blick einleuchtend ist die Annahme, dass sich eine Sicherheitspolitik, die sich auch mit Risiken und Bedrohungen nichtmilitärischen Ursprungs auseinanderzusetzen hat, nicht allein auf militärische Instrumente und Ansätze verlassen darf. Gegen Folgerisiken des Klimawandels, wie das Abtauchen von Landflächen unter den Meeresspiegel, die Verringerung fruchtbarer, bewirtschaftungsfähiger Flächen, die Ausbreitung tropischer und epidemischer Krankheiten u.a. sind weder militärische Abschreckung noch nationalstaatliche Alleingänge wirksam. Die Folgen des Klimawandels mögen sich für unterschiedliche Teile der Weltbevölkerung zwar zu mehr oder weniger unterschiedlichen Risiken oder Bedrohungen ausweiten, in letzter Konsequenz trifft aber die Zerstörung der Reproduktionsbedingungen und Existenzgrundlagen von Teilen der Menschheit in zunehmender Deutlichkeit auch die Zivilisation als Ganzes. Anders formuliert: Wird „Security“ auf den begrifflichen Minimalkern als Existenzbewahrung ohne Sorge (se cura) reduziert, so sprechen Ausweitung und Verwicklung existenzbedrohender Risiken in logischer Konsequenz auch für eine Ausdehnung des Bezugsrahmens von Sicherheitspolitik als eine die Existenz bewahrende Politik. Die Angemessenheit sicherheitspolitischer Ziele muss vor diesem Hintergrund beurteilt werden. Die Umsetzung von Sicherheitskonzepten bedarf rahmensetzender Faktoren – wie das internationale Recht, die staatliche Souveränität und nationale Verfassungsnormen – in Rechnung zu stellen, erst danach stellt sich die Frage nach den geeigneten Instrumenten, um die postulierten Ziele zu erreichen.
Nicht ganz zu Unrecht könnte dieser Herangehensweise unterstellt werden, die Idee von Sicherheitspolitik und damit auch deren Steuerungsfähigkeit zu überfordern. Von der Tendenz einer „Versicherheitlichung“ war zum Beispiel nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in der kritischen Friedensforschung die Rede, bei der plötzlich alle Politikbereiche aus vornehmlich einer Verteidigungsperspektive heraus beurteilt würden, wodurch eher abgrenzende als eigentlich erforderliche kooperative Politikmuster unterstützt werden. In jüngerer Zeit wird in der Friedensforschung auch davor gewarnt, Vorsorgemaßnahmen gegen den Klimawandel und deren Folgen vor allem aus sicherheitspolitischer Perspektive zu betrachten oder gar in Verteidigungsüberlegungen einzubeziehen.
Tatsächlich gilt aber wissenschaftlich und auch politisch mittlerweile weitgehend unbestritten, dass die „globalen Risiken“, zu denen der Klimawandel gehört, ausschließlich durch globale Zusammenarbeit und mittels kollektiv abgestimmter Maßnahmen verringert werden könnten. Zugleich aber ist ebenso nicht zu bestreiten, dass militärisch ausgetragene Konflikte für die Entwicklung einer solchen Kooperation hinderlich sind, und dazu beitragen, dass gemeinsame Lösungsansätze nicht den Weg in die Praxis finden.
Vereinfacht trifft die Formel zu: Nicht alles ist Sicherheit, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Sie wäre aber durch eine weitere Formel zu ergänzen: Nationale Sicherheit vor globalen Bedrohungen gibt es nur als kooperative Sicherheit. Kooperative Sicherheit entsteht durch Zusammenarbeit, sie bedarf aber auch politikfeldintegrierender Herangehensweise, oder wie es heute in den allgemeinpolitischen Sprachgebrauch Eingang gefunden hat, einer Politik der vernetztenSicherheit – laut Wikipedia – als sicherheitspolitischen Ansatz, in dem „verschiedene Instrumente, insbesondere (aber nicht ausschließlich) militärische, polizeiliche, diplomatische, entwicklungspolitische und humanitäre“ so gebündelt und aufeinander abgestimmt werden, dass sie „ein koordiniertes, kohärentes und nachhaltiges Handeln“ der Staaten oder auch Allianzen ermöglichen.
Neben der zunehmenden Verknüpfung der Folgen des Klimawandels und der Sicherheit, gibt es einen weiteren zu beachtenden Zusammenhang im Rahmen der Sicherheitsvorsorge und des Krisenmanagements, die Auswirkung des Klimawandels als einem Treiber für die Verschärfung von Konflikten in Ländern mit schwacher Regierungsführung bei gleichzeitig hohem Fragmentierungsgrad bedingt zum Beispiel durch Gräben zwischen ethnischen oder religiösen Bevölkerungsgruppen.
Diese Feststellung bedeutet nicht, dass der Klimawandel an sich als Ursache der Konfliktkonstellationen anzusehen wäre, sondern dessen Folgen – in Form von Verlusten von furchtbarem Land, zunehmendem lokalen Mangel an sauberem Trinkwasser und eingeschränktem Zugang zu anderen lebenswichtigen Ressourcen bei gleichzeitigem Anstieg der Bevölkerungszahlen, sprunghaft anwachsender Armutsmigration und chronischer Überbelastung von defizitären und sofern überhaupt funktionsfähigen Sozialsystemen – zu einer erkennbar höheren Konfliktvirulenz beitragen. Die Bedrohung von Existenzbedingungen von Bevölkerungsgruppen oder – wie im Falle des ansteigenden Meeresspiegels – ganzer Völker bedeutet einen unmittelbaren Verlust an „menschlicher Sicherheit“/ »human security« (United Nations, 2003), der das Potential des unter Umständen auch gewaltförmigen Widerstandes gegen Akteure erhöht, die für die Veränderungen als hauptverantwortlich angesehen werden. Anders als in der Vergangenheit sind die Auswirkungen des Klimawandels nicht mehr lokal unter Kontrolle zu halten, sondern sie besitzen globale Sprengkraft für die gesamte Zivilisation mit zeitlich näherliegenden Konsequenzen für einige Teile und nur scheinbar verzögerten Effekten für andere Teile der Weltbevölkerung. Daraus entwickelt sich ein die Grenzen von Staaten übergreifendes zivilgesellschaftliches Protestpotenzial, es droht aber auch eine Zuspitzung von Konflikten zwischen Staaten, je nach Interessenlage.
Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu stellen, ob es
(1) opportun und als effektiv angesehen werden kann, für den militärischen Zweck vorgehaltene Instrumente zur Prävention und den Umgang mit Folgeeffekten des Klimawandels einzusetzen, ob
(2) Systeme kollektiver Verteidigung und Sicherheit hierfür einen geeigneten Rahmen bilden können und
(3) sofern die beiden ersten Fragen bejaht werden, welchen Beitrag die NATO als euro-atlantisches Bündnis leisten könnte bzw. erbringen sollte.
Frische Ideen sind gefragt. Bedarf existiert vor allem vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen, entsteht aber zugleich durch die 2020 maßgeblich von Frankreich und Deutschland angestoßene Reformdebatte der NATO mit dem Ziel der Neufassung des seit zehn Jahren bestehenden Strategischen Konzepts der Allianz.
Der Siegerbeitrag des Wettbewerbs im Jahre 2020, verfasst von Sven Morgen, entspricht ganz der Erwartung neuer Ideen. Er beweist Originalität im begründeten Vorschlag zur Schaffung eines NATO Kontingents zur Katastrophenreaktion. Kritiker mögen in der Bildung einer solchen Komponente eine weitere Vermischung von militärischen und zivilen Aufgaben vermuten und betonen, dass eine Bereitstellung für den zivilen Gebrauch die Effizienz der zivilen Vorsorge deutlich verstärken würde. Zutreffend ist zwar, dass auch der zivilen Vorsorge mehr Ressourcen zugeführt und auch in sicherheitspolitischer Hinsicht mehr Aufmerksamkeit beigemessen werden müssten. Zugleich gilt aber dass doppelt verwendungsfähige militärische Mittel politisch weniger umstritten sind als eine potenzielle Verstärkung militärischer Potentiale als doppelt verwendungsfähige „zivile“ Mittel. Zudem ist zu fragen, warum etwa die ohnehin vorhandenen und für zwingende militärische Bedarfe vorgehaltenen Transport- und Versorgungskapazitäten der Streitkräfte nicht im Präventions- oder Katastrophenfall auch für die Bekämpfung der Folgen des Klimawandels eingesetzt werden können – allerdings nach klaren rechtlichen Vorgaben wie etwa der im deutschen Grundgesetz geregelten Amtshilfe. Die Entscheidungshoheit verbliebe politischer Kontrolle anheimgestellt. Die NATO verfügt als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit über geeignete politische, organisatorische und technische Strukturen, um in Einsatzfall auch komplexe und zeitkritische Aufgaben der Katastrophenreaktion im politischen Auftrag kontrolliert durchführen zu können. Lesen Sie hierzu den Essay von Sven Morgen.
Quellen:
Brolin, Bert, Klimatische Veränderungen in Vergangenheit und Gegenwart, in: Paul J. Crutzen/Michael Müller (München: 1990): Das Ende des blauen Planeten? Der Klimakollaps: Gefahren und Auswege, S. 15
Lucke, Franziskus von, Thomas Diez, and Zehra Wellmann (2016): ‘Klimakämpfe: Eine Komparative Studie Der Versicherheitlichung von Klimawandel’. Zeitschrift Für Internationale Beziehungen 23, no. 2. 112–43.
Schleussner, Carl-Friedrich, Jonathan F. Donges, Reik V. Donner, and Hans Joachim Schellnhuber (2016): ‘Armed-Conflict Risks Enhanced by Climate-Related Disasters in Ethnically Fractionalized Countries’. Proceedings of the National Academy of Sciences113, no. 33 (16 August 2016). 9216–21.
United Nations (2003): Human Security Now. Protecting and Empowering People. New York.
WBGU (2007): Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel (Vol. 4).
Gewinneressay: „Strategiewandel durch Klimawandel“
Sven Morgen
Nationale und internationale Katastrophenhilfe als zukünftige Bündnisaufgabe – Die Notwendigkeit einer NATO Disaster Response Force
Der voranschreitende Klimawandel wird mit einer Erhöhung von katastrophalen Naturereignissen einhergehen. Die Bandbreite reicht dabei von Hitzewellen, Dürreperioden und Waldbränden, über Starkregen, Überschwemmungen und Sturmfluten, bis hin zu Winter- sowie Tropenstürmen und Hurrikans, die sowohl in quantitativer als auch qualitativer Dimension zunehmen und die Menschheit vor bislang unbekannte Herausforderungen stellen werden. Wenn einzelne oder mehrere Staaten direkt von Naturkatastrophen betroffen und mit den potentiell verheerenden und disruptiven Auswirkungen konfrontiert sind, kann dies direkte oder indirekte sicherheitspolitische Folgen für die NATO und ihrer Mitglieder haben.
Naturkatastrophen zeichnen sich dadurch aus, dass sie massive menschliche und wirtschaftliche Schäden verursachen können. Zur Bewältigung werden umfangreiche staatliche und gegebenenfalls militärische Ressourcen gebraucht. Je nach Intensität und zeitlicher Dauer der Schadensereignisse können nationale Ressourcen und Fähigkeiten dabei unzureichend sein, was zu einer Überforderung der staatlichen Leistungsfähigkeit führt und internationale Unterstützungsleistungen notwendig macht. Dies gilt sowohl für Staaten außerhalb, als auch innerhalb der NATO, da durch Naturkatastrophen hervorgerufene volkswirtschaftliche Schäden und politische Legitimationsverluste zu politischen Krisen führen können, die sich wiederum negativ auf die Stabilität und Leistungsfähigkeit auswirken.
Jenseits des Bündnisgebietes können Naturkatastrophen bspw. fragile Staaten endgültig zu „failed states“ machen und so Räume für nichtstaatliche Gewaltakteure, Terrorismus und organisierte Kriminalität öffnen. Es können gewaltsame Konflikte, lokale, regionale und internationale Migrationsbewegungen sowie Verteilungskonflikte entstehen, die wiederum destabilisierende Folgen für die internationale Ordnung haben können. Eine proaktive und entschiedene Katastrophenhilfe kann deshalb dazu beitragen, die durch katastrophale Naturereignisse verursachten unmittelbaren Schäden und mittelbaren sicherheitspolitischen Folgen zu mindern oder ganz zu verhindern.
Bislang fand Katastrophenhilfe allerdings vornehmlich im nationalen Rahmen statt. Nur bei größeren Schadensereignissen gibt es groß angelegte internationale Hilfsaktionen. Legt man die Erkenntnis zugrunde, dass ein ungebremst fortschreitender Klimawandel die Wahrscheinlichkeit, Intensität und Quantität von katastrophalen Naturereignissen massiv steigern wird, ist davon auszugehen, dass in einer 2‑, 3‑, 4- oder sogar 5 Grad wärmeren Welt die unilateralen Reaktionsfähigkeiten selbst moderner Staaten nicht mehr ausreichen werden, um den vielfältigen Folgen von Naturkatastrophen adäquat zu begegnen.
Gemäß eines erweiterten Sicherheitsverständnisses sollte die NATO, als System kollektiver Sicherheit, deswegen die nationale sowie internationale Katastrophenhilfe zukünftig noch stärker als elementare und (über-)lebensnotwendige Bündnisaufgabe begreifen. Dafür sollten bereits bestehende Kapazitäten (wie z.B. das Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Center – EADRCC) verstärkt und neue Fähigkeiten geschaffen werden. Bislang hat die Katastrophenhilfe der NATO weitgehend aus den bestehenden Kapazitäten und Strukturen heraus gewirkt, wie bspw. 2005 in Reaktion auf das Erdbeben in Pakistan, als die NATO Response Force und die NATO Joint Logistic Support Group zum Einsatz gebracht wurden. Mit der perspektivisch weiterhin bestehenden Notwendigkeit einer stärkeren Bereitschaft zur Bündnisverteidigung im Osten und multiplen Bedrohungslagen durch transnationalen Terrorismus im Süden des Bündnisses scheint es nicht sinnvoll, den klimawandelbedingt zu erwartenden Anstieg an nationalen und internationalen Katastrophenhilfeeinsätzen mit den bestehenden Strukturen aufzufangen. Die Folge wäre eine Überdehnung der militärischen Fähigkeiten, welche unmittelbar schwerwiegende Folgen für die Sicherheit des Bündnisses hätte.
Mit dem Aufbau einer NATO Disaster Response Force (NDRF) könnten die notwendigen Kapazitäten und Fähigkeiten zur Verfügung gestellt und eine schnelle und zielgerichtete Katastrophenhilfe durch die NATO entweder innerhalb, oder außerhalb des Bündnisgebietes ermöglicht werden. An solch einer Einheit könnten sich die NATO-Mitglieder entweder direkt mit eigenen Kapazitäten und Fähigkeiten, oder durch finanzielle Unterstützung an den Einsatzkosten beteiligen. So wäre eine sinnvolle Kombination und Koordination der bestehenden Fähigkeiten sowie eine faire Lastenverteilung möglich. Den Folgen von Naturkatastrophen kann mit militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten grundsätzlich gut begegnet werden. Um jedoch in solchen Einsätzen möglichst zielgerichtet und effektiv wirken zu können, ist ein spezielles Portfolio an Fähigkeiten und Kapazitäten notwendig. So sind insbesondere schnelle und globale strategische Verlegefähigkeiten, Aufklärung und Kommunikation, flexible Command and Control-Kapazitäten, Logistik zu Land, See und Luft sowie technische Unterstützung und Pionierfähigkeiten notwendig, um in allen vier Phasen der Katastrophenbewältigung (emergency, restoration, reconstruction, rebuilding) effektiv handeln zu können. Neben der Stärkung der unmittelbaren Reaktions- und Handlungsfähigkeit im Katastrophenfall würde die NDRF auch zu mehr Resilienz führen und damit das Bündnis insgesamt stärken. Dies ist besonders in den kommenden Jahrzehnten wichtig, in denen der Klimawandel auch in ökologischen, sozialen und politischen Bereichen massive Umwälzungen und große Belastungen für die NATO-Staaten mit sich bringen wird. Die gegenseitige Unterstützung im Falle einer Naturkatastrophe kann auch zur Steigerung der Bündnissolidarität beitragen und somit den Zusammenhalt stärken, da alle NATO-Mitglieder potenziell durch die vom Klimawandel verstärkten Naturkatastrophen betroffen sein werden und von dem Fähigkeitsaufwuchs und der gegenseitigen Unterstützung profitieren würden. Über das Bündnisgebiet hinaus könnten die NDRF in geostrategisch wichtigen Regionen aktiv Hilfe anbieten und somit die regionale Stabilität sichern. Im Kontext einer aufziehenden Systemkonkurrenz gegenüber China kann internationale Katastrophenhilfe als soft-power Instrument auch das Ansehen der NATO und des Westens steigern.
Die Schaffung einer NATO Disaster Response Force wäre ein deutliches Signal an das Bündnis und darüber hinaus, dass der Klimawandel und dessen sicherheitspolitische Implikationen ernst genommen werden und die NATO auch zukünftig in einer Welt, wie wir sie uns heute noch nicht vorstellen können, ein wichtiger und handlungsfähiger Akteur sein wird.