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Atlantic Talk: Märkte, Macht und Wandel – Deutschlands geoökonomische Zeitenwende

Am 16. Juni 2025 fand im frisch renovierten Presse- und Besucherzentrum des Bundespresseamtes in Berlin eine weitere Ausgabe der Veranstaltungsreihe Atlantic Talk statt. Unter dem Titel „Märkte, Macht und Wandel – Deutschlands geoökonomische Zeitenwende“ diskutierten hochkarätige Gäste vor vollem Haus die veränderten Rahmenbedingungen internationaler Wirtschaftspolitik.

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Peter Beyer MdB, Vizepräsident der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, das Publikum und betonte die Relevanz des gewählten Themas vor dem Hintergrund einer zunehmend instabilen Weltlage. In einer launigen Bemerkung verglich er das neue Buch von Prof. Fröhlich augenzwinkernd mit dem Koalitionsvertrag – beide ähnlich umfangreich, inhaltlich aber womöglich ungleich gewichtet. Geoökonomie sei für viele noch ein neuer Begriff, so Beyer, dabei präge sie längst das weltpolitische Geschehen – vom Nahen Osten bis hin zu den Handelskonflikten mit den USA und China. Es brauche politische Gestaltungskraft, um auf die „New World Disorder“ nicht nur zu reagieren, sondern verantwortungsvoll zu handeln. Besonders lobte er Fröhlichs Beitrag zur öffentlichen Debatte und rief dazu auf, auch im politischen Alltag Raum für tiefere Analysen zu schaffen: „Wir dürfen nicht zum Spielball geopolitischer Entwicklungen werden, sondern müssen lernen, klug zu gestalten.“

In seinem einleitenden Impuls spannte dann Prof. Dr. Henning Vöpel, Vorstand der Stiftung Ordnungspolitik, den Bogen von der gegenwärtigen Weltlage zur Notwendigkeit neuer geoökonomischer Denkweisen. Angelehnt an Antonio Gramscis berühmtes Zitat von der „Zeit der Monster“ beschrieb Vöpel die aktuelle Phase als eine Übergangszeit zwischen dem Zerfall der alten Ordnung und der Geburt einer neuen. Die Welt befinde sich nicht länger in einem kooperativen „Positivsummenspiel“ der Globalisierung, sondern in einem machtpolitischen „Nullsummenspiel“, in dem wirtschaftliche Stärke zunehmend sicherheitspolitisch interpretiert werde. Deutschland und Europa, so Vöpel, müssten lernen, die Triade aus Handels‑, Sicherheits- und Industriepolitik strategisch zu bespielen – mit eigenen Mitteln und gemäß den Prinzipien offener, demokratischer Ordnungen. Seine Mahnung: Neue Konzepte von Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität sind keine ideologischen Debatten, sondern Voraussetzung für Handlungsfähigkeit in einer instabilen Weltordnung.

Anschließend eröffnete Moritz Koch, Büroleiter des Handelsblatts in Berlin, die Diskussion. Im Mittelpunkt standen Fragen nach der neuen Rolle von Sicherheit in einer zunehmend geopolitisch geprägten Ökonomie, dem Umgang mit systemischen Rivalen wie China und der strategischen Handlungsfähigkeit Deutschlands und Europas.

Dr. Claudia Schmucker von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik plädierte für ein Umdenken. Deutschland und die EU seien zentrale Gewinner der Globalisierung gewesen – offener Handel, effiziente Lieferketten und internationale Verflechtung hätten den Wohlstand gesichert. Dieses Denken präge viele Akteure bis heute. Doch mit dem Übergang in ein „machtbasiertes System“ änderten sich die Spielregeln: Wirtschaft sei nun auch sicherheitspolitisch aufgeladen. Während für die USA seit der ersten Trump-Amtszeit klar sei, dass „Economic Security“ gleich „National Security“ bedeute, habe Europa lange an einer Trennung von Wirtschaft und Sicherheit festgehalten. Schmucker betonte, dass die EU im Handel eine globale Macht darstelle – sicherheitspolitisch aber hinterherhinke. Diese beiden Bereiche müssten nun zusammengedacht werden, auch wenn Europa strukturell langsamer reagiere als autoritäre Staaten. Der Abschied von der regelbasierten Ordnung falle schwer – doch er sei notwendig.

Prof. Dr. Stefan Fröhlich, dessen neues Buch »Märkte, Macht und Wandel« dem Abend den Titel gab, unterstrich, dass Deutschland bereits im Fall der Energieabhängigkeit von Russland gezeigt habe, wie rasch und wirksam Diversifizierung möglich sei – etwa durch den massiven Import von LNG aus den USA. Diese Flexibilität müsse auch in anderen Bereichen gelingen, und dabei dürfe es „keine Tabus“ geben: Strategische Partnerschaften und Investitionen müssten offensiver genutzt werden – nicht nur in Europa, sondern weltweit. China habe mit dem gezielten Aufbau eines Monopols bei seltenen Erden vorgemacht, wie systematische geostrategische Rohstoffpolitik funktionieren könne.

Fröhlich kritisierte, dass Europa sich zu lange auf ein bequemes Modell des globalen Einkaufs gestützt habe. Eine echte geoökonomische Strategie erfordere ein Umdenken – auch hin zu stärkerer Industriepolitik „vielleicht ein bisschen französischer gedacht“. Er forderte mehr Eigeninvestitionen und eine Reorientierung wirtschaftlicher Prioritäten: Wettbewerbsfähigkeit und technologische Souveränität seien nur durch mutige Weichenstellungen möglich. Die Zeit der bequemen Importabhängigkeit sei vorbei.

Die Diskussion war geprägt von der Erkenntnis, dass wirtschaftliche Entscheidungen heute nicht mehr losgelöst von geopolitischen Entwicklungen betrachtet werden können. In Zeiten globaler Systemkonkurrenz und wachsender Unsicherheiten komme es mehr denn je auf strategische Handlungsfähigkeit, Koordination mit Verbündeten und eine klare Interessenpolitik an.

Das Publikum beteiligte sich engagiert an der Diskussion – nicht zuletzt durch kritische Nachfragen zum Umgang mit Technologieabhängigkeiten und der Erreichbarkeit von Resilienz oder der Rolle von grüner Wirtschaftspolitik.

Der Abend zeigte eindrucksvoll: Europas wirtschaftliche Stärke muss außenpolitisch neu verortet werden. Der Atlantic Talk der Deutschen Atlantischen Gesellschaft bleibt ein Ort für genau diese klärenden Debatten.

Zu Gast:

Peter Beyer MdB

Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU-Fraktion; Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung (2018 – 2022)

Peter Beyer begann seine Laufbahn nach seinem Abitur 1991 mit dem Wehrdienst in einer Kompanieführungstruppe in Wuppertal. Anschließend studierte er Rechts- und Staatswissenschaften, Geschichte und Politik in Düsseldorf und Bonn. Nach dem Studium arbeitete Beyer bei mehreren internationalen Kanzleien und Sozietäten (Mayer, Brown & Platt (heute Mayer Brown), Brinks, Hofer, Gilson & Lione, Murchison & Cumming). 2001 erlangte er den Master of Laws in Charlottesville, USA. Das CDU-Mitglied (seit 1996) bekleidete ab 2004 kommunale Ämter und zog mit seiner Erstkandidatur bei der BTW 2009 als Spitzenkandidat des Mettmanner Nordkreises in den Bundestag ein. Von 2018 bis Anfang 2022 war Beyer im Regierungsamt des Koordinators für die Transatlantische Zusammenarbeit. Seit Mai 2022 ist er Vizepräsident der Deutschen Atlantischen Gesellschaft.

Prof. Dr. Stefan Fröhlich

Professor für Internationale Beziehungen und Politische Ökonomie

Prof. Dr. Stefan Fröhlich ist Professor für Internationale Politik und Politische Ökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und lehrt regelmäßig am College of Europe in Brügge und Natolin. Er forscht zu deutscher, europäischer und transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur Internationalen Politischen Ökonomie. Fröhlich ist Autor zahlreicher Publikationen und ein gefragter Experte in den Medien.

Prof. Dr. Henning Vöpel

Vorstandsmitglied, Stiftung Ordnungspolitik und Direktor des Centrums für Europäische Politik

Prof. Dr. Henning Vöpel ist Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business & Law School Berlin. Zuvor leitete er das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Konjunktur, Geldpolitik, Globalisierung und Digitalökonomie.

Dr. Claudia Schmucker

Leiterin, Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

Dr. Claudia Schmucker leitet das Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zuvor verantwortete sie fast zwei Jahrzehnte das Programm „Globalisierung und Weltwirtschaft“. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf internationaler Handels- und Wirtschaftspolitik, insbesondere den transatlantischen Beziehungen, der WTO sowie G7/G20-Prozessen.

Moderation:

Moritz Koch

Büroleiter Berlin, Handelsblatt

Moritz Koch ist seit August 2024 Politikchef des Handelsblatts. Zuvor leitete er das Brüsseler Büro und war Senior Correspondent in Berlin. Der ausgebildete Volkswirt studierte in Hamburg und an der Johns Hopkins University in Washington. Seine journalistische Laufbahn begann er bei der Süddeutschen Zeitung, u. a. als Korrespondent in New York.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Nicolas Fescharek

Referent
Lennéstraße 11 · 10785 Berlin
030 20649-134
030 20649-136
Bildnachweise für diese Seite
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DW 2023 Leo Simon
PB Konferenzfoto Nürnberger (2) Aufnahmen von Peter Beyer, MdB am 17. Mai 2018. Fotografie: Frank NŸrnberger. www.franknuernberger.de. 0172.1013456. (c) Frank Nürnberger
Dr. Nicolas Fescharek Leo Simon
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