„Si vis pacem – para bellum“ – wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor – so lautet eine wohlbekannte lateinische Redewendung, die besonders im Kontext des Ukrainekrieges eine Renaissance erlebt. Die brutale russische Aggression in der Ukraine lässt die europäische und transatlantische Gemeinschaft in einer neuen realpolitischen Gegenwart aufwachen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, steigern NATO-Mitgliedstaaten ihre finanziellen Mittel für die Stärkung ihrer Wehrhaftigkeit. Auch Deutschland handelt nun entlang dieser lateinischen Leitlinie und will das beschlossene Sondervermögen in Rüstungsprojekte investieren, um die Bundeswehr zu modernisieren. Dass Investitionen in neue Tarnkappenjets, Korvetten und Panzer wichtig sind, steht außer Frage. Jedoch vermitteln sicherheitspolitische Diskussionen oftmals das Bild, dass Großgeräte die einzigen Garanten unserer Sicherheit sind. Das Wohl unserer Soldaten, die in der Gesamtrechnung der vernetzten Sicherheitsstruktur der Bundesrepublik eine wichtige Variable sind, nimmt hingegen in Diskussionen nur einen zweitrangigen Platz ein. Verliert aber die Investition in eine nachhaltige Pflege der Personalhaltung und ‑gewinnung an Bedeutung, sinkt die Attraktivität des Soldatenberufs. Das wiederum hinterlässt Risse in unserem sicherheitspolitischen Fundament.
Verlust der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber
Dass die Bundeswehr als Arbeitgeber an Attraktivität verliert, lässt sich an einem Negativtrend beobachten. Im vergangenen Jahr wurden 951 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung eingereicht, fast ein fünffacher Anstieg im Vergleich zum Jahr 2021. Hinzu kommt, dass vermehrt freiwillige Dienstleistende und aktive Zeitsoldaten ihr zukünftiges Karriereglück nicht im aktiven Dienst an der Waffe sehen, und bewusst auf eine Fortsetzung des Dienstes als Zeitsoldat oder auf die Übernahme zum Berufssoldaten verzichten. Dieser Trend bringt die Ambition des Verteidigungsministeriums in Gefahr, das militärische Personal bis 2031 auf 203.000 Soldaten zu vergrößern.
Wenn diese Entwicklung in öffentlichen Diskussionen angesprochen wird, wird der Ukrainekrieg oft als alleiniger Urheber betrachtet. Dies greift zu kurz. Denn es ist wichtig zu verstehen, dass die Entscheidung für ein Ausscheiden aus der Bundeswehr die Summe von Unzufriedenheiten ist, die sich besonders auf die sinkende Lebensqualität der Soldaten und die langwierige Bürokratie des deutschen Militärs beziehen. Somit ist der Krieg in der Ukraine hier nur einer von mehreren Faktoren. Berichte von aktiven Soldaten und persönliche Erfahrungen decken sich mit den Wehr- und Medienberichten der aktuellen Wehrbeauftragten, Dr. Eva Högl, und ihrem Vorgänger, Dr. Hans-Peter Bartels, die in ihren Jahresberichten verstärkt auf die prekäre Lage deutscher Soldaten hingewiesen haben. Trotz der Bemühungen der Wehrbeauftragten wurden Maßnahmen zur Bewältigung nur mit beamtenhafter Vorsicht eingeleitet. Streben wir jedoch eine stabile Sicherheitsstruktur an, muss auch die Zufriedenheit der Soldaten garantiert werden.
Warum Soldaten der Bundeswehr den Rücken kehren
Um zu verstehen, warum Soldaten ihren Dienst verlassen, müssen verschiedene Faktoren genauer betrachtet werden. Zunächst ist es keine an den Haaren herbeigezogene Aussage, dass die vom Dienstherrn gestellte persönliche Ausrüstung unzureichend ist und Mängel aufweist. Ein Defizit, das schon seit Jahren bekannt ist. Maßnahmen zur Bewältigung scheinen nicht ihren gewünschten Erfolg zu erzielen, da sich viele Soldaten immer noch vor Übungen oder Einsätzen mit nichtdienstlich gelieferter Ausrüstung eindecken, die sie von lokalen Militärshops oder diversen Onlineanbietern erhalten und von ihrem eigenen Gehalt bezahlen. Privat beschaffte Plattenträger oder Kälteschutz sind auf Truppenübungsplätze keine Seltenheit. Vorgesetzte müssen diese Praxis teilweise dulden, da sie sich der Ausrüstungsdefizite bewusst sind.
Des Weiteren ist die magere Ausstattung mancher Kasernen hervorzuheben, die ein wesentlicher Faktor in der Unzufriedenheit der Soldaten ist. Sporteinrichtungen, die auch für den dienstlichen Gebrauch benötigt werden, sind in einem schlechten Zustand oder stehen aufgrund ständiger Wartungsarbeiten nicht zur Verfügung. Mannschaftsheime, die den Soldaten als Ort zum Austausch nach dem Dienst dienen sollen, sind an manchen Standorten dauerhaft geschlossen. Es fehlt oft an gut ausgestatteten Teeküchen und WLAN in den Wohnblöcken der Soldaten. Auch das Inneneinrichtungskonzept „Stube 2000“ ist in vielen Kasernen immer noch ein Mythos. Dies hat zur Folge, dass Soldaten vermehrt von ihrem Gehalt in Küchengeräte, Mitgliedschaften für Fitnessstudios etc. investieren müssen, um Defizite zu kompensieren. Besonders junge Rekruten werden durch die teilweise maroden Zustände der Kasernen abgeschreckt. „Junge Leute wollen keinen Luxus“, so die Wehrbeauftragte in einem Interview im November 2022, „aber eine solide Unterkunft sollte es schon sein, mit WLAN und Duschen, in denen man sich nicht ekelt.“
Teufelskreis Personalmangel
Zudem besteht durch den bestehenden Personalmangel eine Zusatzbelastung der Soldaten, welche ihre psychische Belastbarkeit an die Grenze bringt. Manche Einheiten unterstehen aufgrund fehlenden Personals einem stärkeren Einsatzzyklus, was wiederum bedeutet, dass die Zeit für Nachbereitung und Regeneration verkürzt werden muss. Durch die daraus resultierende verstärkte Einbindung in den Dienst fehlt die Zeit für Familie und Freunde. Letztere sind es jedoch, die dem Soldaten eine starke psychologische Unterstützung geben. So verwundert es nicht, dass es in extremen Fällen bei Soldaten zu depressiven Erkrankungen kommen kann. Wird dies von einem Facharzt diagnostiziert, kann ein Verfahren zur Dienstuntauglichkeit eingeleitet werden, und der Soldat verlässt die Bundeswehr.
Schlussendlich ist auch die Präsenz in den sozialen Medien in die Mitverantwortung zu nehmen. Auf Online-Plattformen wie YouTube, Instagram und TikTok werben die Bundeswehr und auch Bundeswehr-Influencer mit Bildern, die den Dienstalltag verzerrt darstellen können. Tatsächlich bilden diese Bilder nach eigener Erfahrung nur einen geringen Teil der Realität ab. Die Gefahr besteht, dass potentielle Bewerber diese aufpolierten Darstellungen als Goldstandard nehmen und mit hohen Erwartungen ihren Dienst in der Truppe antreten. Werden ihre Erwartungen nicht erfüllt, ist die Entscheidung naheliegend, den Arbeitsvertrag nicht mehr zu verlängern. Diese Beobachtung wird durch den Wehrbericht der Wehrbeauftragten von 2021 gestützt, die genau vor dieser Entwicklung warnt.
Was nun?
Diese Darstellung soll aufzeigen, dass die Wertschätzung unserer Soldaten mittels Finanzierungen in verbesserte Rahmenbedingungen nicht fehlen darf, wenn die Bundeswehr auch in Zukunft als attraktiver Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt auftreten möchte. Es hilft dennoch auch nicht, die Personalsituation nur mit pessimistischen Augen zu betrachten. Vielmehr bietet sich mit detaillierten wissenschaftlichen Untersuchungen die Chance, vergangene Versäumnisse zu korrigieren und langfristig das personelle Wachstum der Bundeswehr zu fördern.
Es ist richtig, den Großteil des Sondervermögens in Großgerät und Munition zu investieren. Trotzdem muss gleichzeitig eine Vernachlässigung der Investition in eine verbesserte Infrastruktur der Kasernen verhindert werden. Gepflegte Sporteinrichtungen, Freizeitmöglichkeiten und Unterkünfte tragen zur Steigerung der Lebensqualität und der Moral der Soldaten bei, die ein Großteil ihrer Dienstwoche in den Kasernen verbringen müssen.
Neue Impulse für die Personalpolitik der Bundeswehr
Des Weiteren müssen die Karrierecenter der Bundeswehr präziser über das berufliche Profil des militärischen Arbeitgebers informieren. Es bei einstündigen Beratungsterminen zu belassen, kann nicht zielführend sein. Vielmehr müssen mehrstündige Seminare angeboten werden, in denen Karriereberater über das gesamte berufliche Potential der Bundeswehr aufklären. Den potentiellen Bewerbern werden dadurch schon im Voraus die Möglichkeit gegeben, Alternativen einzuplanen, falls die Wunschverwendung nicht realisiert werden kann. Nur wenn auch die wichtigen Aufträge eines Materialbewirtschaftungsfeldwebels oder eines Geschäftszimmersoldaten kommuniziert werden, können verzerrte Bilder des Dienstalltags, die auf Fehldarstellung der sozialen Medien beruhen, korrigiert werden.
Letzten Endes muss eine stärkere arbeitssoziologische Aufarbeitung der Lage unserer Bürgerinnen und Bürger in Uniform eingeleitet werden. Es müssen empirische Daten gesammelt werden, um den Trend der unzufriedenheitsbedingten Abwendung vom Arbeitgeber Bundeswehr genauer zu untersuchen. Daraus müssen ernstzunehmende Konzepte entstehen, in deren Umsetzung langfristig investiert werden muss. Hierzu gilt es die Universitäten der Bundeswehr sowie das Zentrum für
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften einzubeziehen, da sie das akademische Werkzeug dafür besitzen.
Die Zeitenwende muss schlussendlich auch die Personalpolitik der Bundeswehr zum Besseren beeinflussen. Dazu bedarf es jedoch eines richtungsweisenden Impulses. Am 28. Februar soll der neue Jahresbericht der Wehrbeauftragten in der Bundespressekonferenz vorgestellt werden, der als wichtiger Impulsgeber wirken und im besten Fall als Grundlage für zukünftige Verbesserungen dienen kann. Nur wenn die Erkenntnisse des neuen Wehrberichts auch schwerpunktmäßig in zukünftigen sicherheitspolitischen Diskursen behandelt werden, können langfristige Konzepte zur Verbesserung der Personalpolitik der Bundeswehr ihre Wirkung zeigen.