Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

Die “Cognitive Domain of Military Operations” – Menschliche Wahrnehmung als militärischer Operationsraum

Ausgabe 43: Dr. Philip Jan Schäfer

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Menschliche Wahrnehmung, die ihr unterliegenden Prozesse und Möglichkeiten zur Manipulation sind schon lange Gegenstand sicherheitspolitischer Gedankenspiele. Doch Aussagen wie die des früheren Stabschefs der US-Luftwaffe, General David L. Goldfein – “We are transitioning from wars of attrition to wars of cognition” – unterstreichen eine neue Dynamik: Menschliche Wahrnehmung wird zunehmend als das eigentliche Schlachtfeld betrachtet. Die Forderung, dieses Schlachtfeld als Operationsraum (cognitive domain of military operations) zu begreifen und entsprechend in militärische Fähigkeiten und Doktrinen zu übertragen, wird im Folgenden beleuchtet.

Die drei Säulen der „Cognitive Domain“

In den letzten Jahren überschlagen sich die Entwicklungen. Hier wird die Forderung nach einem sechsten militärischen Operationsraum getragen von drei thematischen Säulen: Die erste Säule ist die militärische Betrachtung von Neurowissenschaften. Die zweite Säule ist die des zugesprochenen Potenzials, durch strategische Kommunikation militärische Wirkung zu erzielen. Und schließlich ist die dritte Säule die der Technologieentwicklung, die das Versprechen von Zielgenauigkeit und freier Skalierbarkeit in sich trägt. Dies betrifft vor allem die Anwendung von KI in Informationstechnologien.

Die Diskussion um „Neurowaffen“ hat neurowissenschaftliche Forschungsprojekte und entsprechende Entwicklungen in den Fokus der Debatte über nationale Sicherheit gerückt. Zum Beispiel werden auf dem Bereich der Neuropharmakologie die Auswirkungen von Antidepressiva auf die Leistungsfähigkeit von Soldatinnen und Soldaten verstärkt durch eine militärische Linse betrachtet.

Versuche, die menschliche Wahrnehmung durch zielgerichtete Kommunikation zu beeinflussen, erhielten angesichts der den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine begleitenden Kriegspropaganda und der Diskussion um Desinformation mehr Aufmerksamkeit. Innerhalb der NATO und der NATO-Partner soll strategische Kommunikation als Denkweise und Prozess die Resilienz gegenüber Propaganda und Desinformation steigern. Strategischer Kommunikation wird zudem zugeschrieben, mit kinetischen Effekten vergleichbare kommunikative Effekte zu erzielen.

Überdies sprechen Forschende der rasanten Entwicklung von Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) zu, menschliche Kognition manipulieren zu können. Positiv gewendet spricht man KI zu, die Entstehung von Konflikten verhindern zu können, indem gezielt Botschaften produziert, platziert und verbreitet werden, um Konfliktpotenziale zu reduzieren.

Die Institutionalisierung der „Cognitive Domain“

Expert:innengremien z.B. in der NATO Science and Technology Organization (STO) wurden mit der Ausgestaltung einer „Cognitive Domain of Operations“, zusätzlich zu See, Land, Luft, sowie im Cyber- und Weltraum beauftragt. Neben dem abstrakten Nachdenken darüber, wie ein solcher Operationsraum beschaffen sein könnte, stellt man sich hier bereits intensiv die Frage, wie entsprechende militärische Fähigkeiten aussehen müssten.

Die bisherige Diskussion um eine „Cognitive Domain“ beschränkt sich dabei fast ausschließlich auf die Kommunikationssäule und arbeitet sich an Konzeptionen kognitiver Kriegsführung ab. Kognitive Kriegsführung ist dabei definiert als „Die Kunst, Technologie zur Manipulation menschlicher Wahrnehmung einzusetzen“. Dabei ist insbesondere die chinesische Konzeption kognitiver Kriegsführung als Bedrohung und gedankliches Gegenstück definiert. Die Konzeption politischer Kriegsführung der chinesischen Volksbefreiungsarmee (PLA) fungiert dabei als eine Art Schablone anhand derer Bedrohungen im kognitiven Operationsraum verstanden werden können. Die PLA setzt dabei den Fokus auf die Kontrolle von Bevölkerungsgruppen im Inund Ausland und investiert in Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologien. Zusammen gedacht wird dabei ein Kampf um die öffentliche Meinung (Public Opinion Warfare), psychologische Kriegsführung (Psychological Warfare) und die Möglichkeit der Rechtssetzung und ‑interpretation (Legal Warfare, ´Lawfare´). Die Konzeptualisierung eines kognitiven Operationsraumes erfolgt demnach bedrohungsorientiert (mit einem Fokus auf kognitive Kriegsführung) und ist auf einige wenige Akteure wie China bezogen.

Zudem dreht sich die Diskussion über einen kognitiven Operationsraum um Denkfiguren der fünften Generation der Kriegsführung. Operationsgeschwindigkeit, das Denken in Netzwerken und die Bedeutung von „soft power“ stehen hier im Mittelpunkt. So soll z.B. in allen internationalen Beziehungen proaktiv Vertrauen aufgebaut werden, um diese Vertrauensposition zum geeigneten Zeitpunkt gezielt gegen einen Akteur einsetzen zu können. Konflikte würden sich allgemein aus dem militärischen Bereich in den wirtschaftlichen, kulturellen sowie in den Informationsraum verlagern.

Die „Cognitive Domain“ Deutschland und die NATO – Wie weiter?

In der „Cognitive Domain of Operations“ sollen (noch zu definierende) militärische Fähigkeiten dazu eingesetzt werden, die Bevölkerung gegen Manipulation zu schützen bzw. kognitive Effekte zu erzielen, die Operationen in anderen Operationsräumen ermöglichen, oder unterstützen. Das wird in der Form, wie die Diskussion dazu bisher geführt wird, nicht gelingen.

Im Moment tragen ausgewiesene Expert:innen ihr Wissen zusammen und sind bereits in einer gefährlichen Weise durch institutionelle Erfordernisse und Interessen enggeführt. Die bedrohungsorientierte und auf bestimmte Akteure fokussierte Betrachtung verengt den Blick und lässt das Zusammenspiel der drei Bereiche der Neurowissenschaften, der strategischen Kommunikation und der Technologieentwicklung außer Acht. Die Konzentration auf Informationsverarbeitung und Kommunikation lässt sich durch diese Orientierung und die Hintergründe der bereits innerhalb der NATO STO und in den Streitkräften und Forschungseinrichtungen der NATO-Partner tätigen Expert:innen erklären (viele forschen und beraten parallel im Bereich strategischer Kommunikation). Eine Forschungs- und Entwicklungsagenda sollte allerdings nicht durch bestehende Wissensstrukturen vorgezeichnet sein. Einer solch weitreichenden Entscheidung, wie diejenige, die menschliche Wahrnehmung als militärischen Operationsraum zu definieren, sollte eine intensive Phase der Bestandsaufnahme vorangehen. In welchen Bereichen haben NATO-Partner bereits Fähigkeiten und Expertise, die sich in einer „Cognitive Domain“ verorten ließe? Was würde aus Sicht der jeweiligen Streitkräfte benötigt und was aus Sicht anderer nationaler politischer Institutionen? Anschließend müsste eine längere Konzeptionsphase folgen, die sich mit technischen Möglichkeiten auseinandersetzt und ein techniksoziologisches Monitoring betreibt.

Schließlich müsste innerhalb einer Institution wie der NATO die Fähigkeit zur vollständigen Entwicklung militärischer Fähigkeiten in einer „cognitive domain of operations“ geschaffen werden. Das selektive Zukaufen von Anwendungen in der Privatwirtschaft unterliegt einmal nicht der politischen Kontrolle, die innerhalb der Institution selbst gegeben wäre. Andererseits könnte die Fähigkeit, eigene Entwicklungen im kognitiven Operationsraum zur Marktreife zu bringen und erst dann von der Industrie hochskalieren zu lassen, erheblich zu einer handlungsfähigen NATO und handlungsfähigen NATOPartnern beitragen.

Betrachtet man das durch die Three Warfares angeleitete Vorgehen der chinesischen Volksarmee durch Bedrohung und Einschüchterung der chinesischen Diaspora (auch in Deutschland), verbunden mit der aktiven Manipulation von Informationsplattformen und ‑kanälen, so muss man zu dem Schluss kommen, dass diesem Vorgehen etwas entgegengehalten werden muss. Die jeweiligen Polizei- und Justizapparate werden schnell mit der Erstellung eines Lagebildes und der Verfolgung eines weltweit agierenden Militärapparates überfordert sein. Und so wird schnell klar, dass Streitkräfte und Institutionen wie die NATO eine Rolle in einer „Cognitive Domain“ spielen werden müssen.

Doch die Arbeiten zur Konzipierung eines kognitiven Operationsraumes sind schon im Gange und präsentieren sich als gefährliche Engführung. Hier sollte eine informierte Debatte geführt werden und z.B. Deutschland und die deutsche Außenund Sicherheitspolitik eine aktive Rolle in der Konzeption spielen.

Auf den Artikel mit Quellenangaben und weiterführender Literatur kann über diesen Link zugegriffen werden.

Ein Beitrag von:

Dr. Philip Jan Schäfer

Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Soziologie-Fakultät der Universität Bielefeld

Philip Jan Schäfer ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Neben seiner Arbeit an der Universität Bielefeld ist er u.a. NATO STO-Panel `Defending Democracy in the Information Space'. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind die Versicherheitlichung des Cyber- und Informationsraums sowie die Verknüpfung von Militär- und Weltgesellschaftstheorie.

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Dr. Nicolas Fescharek

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