Für mangelnden Mut hält Dr. Gerlinde Niehus die Nicht-Einladung der Ukraine zum Beitritt in die NATO nicht. Die stellvertretende Direktorin für die Sicherheitskooperation der NATO mit den NATO-Partnerländern argumentiert so: Da der Beitritt ohnehin erst nach Kriegsende möglich wäre, würde der russische Präsident den Krieg nie beenden. Schließlich wolle er den NATO-Beitritt ja auf jeden Fall verhindern. Dass die Ukraine dabei das einzige Land sei, dass den Blutzoll für den russischen Angriffskrieg bezahlt, bedauert Niehus, ändern lasse sich das aber nicht, und die NATO sei ein Bündnis, das nun mal in erster Linie für seine eigenen Mitglieder spreche.
Allerdings tue die NATO als Organisation auch selbst einiges für das angegriffene Land, erläutert die langjährige NATO-Expertin. Die 500 Millionen Euro aus eigenen Mitteln seien für den kleinen NATO-Etat ein ungewöhnlich hoher Ausgabeposten. Sie betont, das Militärbündnis finanziere davon ausschließlich verteidigungsorientierte Maßnahmen und keine Angriffswaffen. Die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten seien derzeit diejenigen, die sich am besten mit russischer Kampftaktik auskennen. Daher fließe das NATO-Geld auch in eine neue Einrichtung, in der diese ihr Wissen an die Truppen der Mitgliedsländer weitergeben sollen.
Die große militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine haben in Vilnius eher einzelne Geberstaaten bilateral oder die Organisation der sieben größten Industrieländer (G7) beschlossen; in Form von durchaus verbindlichen Zusagen. Die organisatorische Umsetzung obliege dann der sogenannten Ramstein-Gruppe.
Bedeutend für die NATO selbst und als Ganze war in Vilnius aber vielmehr die Genehmigung des koordinierten Bündnisverteidigungsplans, den der Oberbefehlshaber der NATO-Alliierten in Europa, General Christopher Cavoli, ausgearbeitet hatte. Ziel sei eine intensivere Verzahnung der militärischen Fähigkeitsprofile der einzelnen Staaten als bisher. Das heißt auch: Es ist nun festgeschrieben, welches Land welchem anderen Land im Fall eines Angriffs durch eine Macht wie Russland zur Hilfe kommen muss. Das Verbindlichkeitsmaß und die Höhe der finanziellen Aufwendungen der einzelnen Staaten sei mit den Beschlüssen deutlich gewachsen, sagt Niehus.
Noch deutlicher als die Zusagen für die militärischen Ausgaben von 2 % vom Bruttoinlandsprodukt als neue Untergrenze ist die Grenze zwischen den NATO-Mitgliedern und Russland gewachsen. Der Beitritt Finnlands und Schwedens bedeute eine Stärkung der NATO und ermögliche eine kohärentere Strategie im Norden Europas.