Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

(48) Volten und Wenden auf dem NATO-Gipfel in Vilnius

Für mangelnden Mut hält Dr. Gerlinde Niehus die Nicht-Einladung der Ukraine zum Beitritt in die NATO nicht. Die stellvertretende Direktorin für die Sicherheitskooperation der NATO mit den NATO-Partnerländern argumentiert so: Da der Beitritt ohnehin erst nach Kriegsende möglich wäre, würde der russische Präsident den Krieg nie beenden. Schließlich wolle er den NATO-Beitritt ja auf jeden Fall verhindern. Dass die Ukraine dabei das einzige Land sei, dass den Blutzoll für den russischen Angriffskrieg bezahlt, bedauert Niehus, ändern lasse sich das aber nicht, und die NATO sei ein Bündnis, das nun mal in erster Linie für seine eigenen Mitglieder spreche.

Allerdings tue die NATO als Organisation auch selbst einiges für das angegriffene Land, erläutert die langjährige NATO-Expertin. Die 500 Millionen Euro aus eigenen Mitteln seien für den kleinen NATO-Etat ein ungewöhnlich hoher Ausgabeposten. Sie betont, das Militärbündnis finanziere davon ausschließlich verteidigungsorientierte Maßnahmen und keine Angriffswaffen. Die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten seien derzeit diejenigen, die sich am besten mit russischer Kampftaktik auskennen. Daher fließe das NATO-Geld auch in eine neue Einrichtung, in der diese ihr Wissen an die Truppen der Mitgliedsländer weitergeben sollen.

Die große militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine haben in Vilnius eher einzelne Geberstaaten bilateral oder die Organisation der sieben größten Industrieländer (G7) beschlossen; in Form von durchaus verbindlichen Zusagen. Die organisatorische Umsetzung obliege dann der sogenannten Ramstein-Gruppe.

Bedeutend für die NATO selbst und als Ganze war in Vilnius aber vielmehr die Genehmigung des koordinierten Bündnisverteidigungsplans, den der Oberbefehlshaber der NATO-Alliierten in Europa, General Christopher Cavoli, ausgearbeitet hatte. Ziel sei eine intensivere Verzahnung der militärischen Fähigkeitsprofile der einzelnen Staaten als bisher. Das heißt auch: Es ist nun festgeschrieben, welches Land welchem anderen Land im Fall eines Angriffs durch eine Macht wie Russland zur Hilfe kommen muss. Das Verbindlichkeitsmaß und die Höhe der finanziellen Aufwendungen der einzelnen Staaten sei mit den Beschlüssen deutlich gewachsen, sagt Niehus.

Noch deutlicher als die Zusagen für die militärischen Ausgaben von 2 % vom Bruttoinlandsprodukt als neue Untergrenze ist die Grenze zwischen den NATO-Mitgliedern und Russland gewachsen. Der Beitritt Finnlands und Schwedens bedeute eine Stärkung der NATO und ermögliche eine kohärentere Strategie im Norden Europas.

Zu Gast:

Dr. Gerlinde Niehus

Stellvertretende Direktorin, NATO, Sicherheitskooperation mit Partnerländern

Dr. Gerlinde Niehus ist Diplomatin mit über 25 Jahren Erfahrung in multilateralen Organisationen wie der NATO und der Europäischen Kommission. Sie dient seit 2019 im NATO-Hauptquartier als stellvertretende Direktorin für Sicherheitskooperation mit den NATO-Partnerländern. Sie hat in dieser Rolle maßgebliche Kooperationsreformen zur Krisenprävention und zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten von Partnern weltweit vorangetrieben. Frühere leitende Positionen umfassen die Leitung der NATO-Kommunikationsabteilung und die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Vor ihrer Tätigkeit bei der NATO arbeitete sie für deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und eine politische Stiftung, und leitete das Europäische Verbindungsbüro der damaligen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Dr. Niehus promovierte in Internationalen Beziehungen an der Universität Münster und hat zahlreiche wissenschaftliche Artikel zu internationalen und sicherheitspolitischen Themen veröffentlicht. Sie ist Mitglied von Women in International Security (WIIS) und Alumni der London Business School.

Moderation:

Oliver Weilandt

Geschäftsführer der Hörfunkagentur »Internationaler Audiodienst (iad)«

Oliver Weilandt moderiert den »Atlantic Talk Podcast« der Deutschen Atlantischen Gesellschaft. Der Agenturleiter und Autor zahlreicher Radiofeature und politischer Hintergrundberichte auf den Wellen der ARD sowie in den Programmen des Deutschlandradios verantwortet unter anderem auch das Privatfunkprogramm der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

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Dr. Nicolas Fescharek

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