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NATO Talk 2023

Aufzeichnung, Bericht und Fotos vom NATO Talk 2023 

»Der Westen unter Druck – neue Herausforderungen für die NATO«

Die diesjährige NATO Talk Konferenz unter dem Motto „Der Westen unter Druck – Neue Herausforderungen für die NATO“ fand am 06. November im Hotel Adlon statt. Über die Jahre hat sich der NATO Talk zu einem hoch anerkannten Forum für Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt. Wir freuen uns, dass wir dieses Jahr das George C. Marshall European Center For Security Studies als Partner für diese Konferenz gewinnen konnten!

Gegliedert in vier Themenblöcke näherten sich unsere Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Militär den dringenden Sicherheitsfragen unserer krisengebeutelten Zeit und lieferten Analysen, wie der Westen mit den gleichzeitig stattfindenden Krisen und Kriegen vom Mittleren Osten bis in die Ukraine umgehen kann.

Eröffnung durch Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius

„Was 1990 undenkbar war, ist heute Realität“: In seiner Ansprache skizzierte der Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius eine sich wandelnde geopolitische Landschaft. Er zeichnete das Bild einer von Interessenskonflikten und zunehmender Eskalation geprägten Welt, in der sich Krisen aneinanderreihen. Dies stehe im starken Kontrast zu der Stabilität der 90er Jahre und der Annahme, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sich immer weiter verbreiten würden. Antiwestliche Narrative verbreiteten sich, Großmächte wie China und Russland aber auch regionale Akteure wie die Hamas stellten den Status Quo in Frage.

Die NATO habe sich über 75 Jahre als Garant der deutschen Sicherheit bewährt. Deutschlands Verantwortung als größtes NATO Mitglied in Europa sei es nun, die heutige Ostflanke zu schützen und im Bündnis die Rolle eines aktiven Gestalters einzunehmen. Führungsverantwortung zu übernehmen sei Teil der Zeitenwende. Der 2014 angestoßene Transformationsprozess der NATO setze sich heute mit der Aufnahme von Schweden und Finnland in das Bündnis, sowie der deutschen Brigade in Litauen fort.

Doch auch die Machtverschiebungen außerhalb Europas, besonders im Indopazifik, hätten eine immense politische Bedeutung für die Allianz. Auch dort engagiere sich Deutschland sichtbar und setze sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ein.

In den letzten Monaten und Jahren sei Deutschland sicherheitspolitisch erwachsener geworden und sehe großen Herausforderungen mutiger und entschlossener entgegen. Das reiche jedoch noch nicht – vielmehr sein ein tiefgreifender Mentalitätswechsel in Sicherheitsfragen notwendig: „Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, so schwer es uns fällt, und so unschön es ist […], dass die reale Gefahr eines Krieges wieder drohen kann.“ 

Besonders gefreut hat uns das Lob des Ministers für die Arbeit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft:

»Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Deutsche Atlantische Gesellschaft immer wieder so viel kluge Köpfe zusammenbringt, um sicherheitspolitische Fragen zu diskutieren. Wir brauchen solche Foren, jetzt mehr denn je indem wir sachlich und fachlich fundiert in den Austausch kommen, Positionen erklären, Ideen entwickeln: Das ist das, worauf es ankommt.«

Boris Pistorius

Panel 1: Russlands Krieg und Putins Ziele – Bedrohung für ganz Europa

Das erste Panel »Russlands Krieg und Putins Ziele – Bedrohung für ganz Europa« unter Moderation von Theresa C. Winter beschäftigte sich eingehend mit der aktuellen geopolitischen Lage hinsichtlich des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine. 

In seinem strategischen Impuls erläuterte Dr. Graeme Herd, Professor für Transnationale Sicherheitsstudien, mögliche Zukunftsszenarien für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Militärische Erfolge Russlands seien schwer vorherzusagen, da sie stark von verschiedenen Faktoren wie innenpolitischer Stabilität und Unterstützung von Partnern wie Belarus und China abhingen. Im Falle einer militärischen Niederlage Russlands müsste die Ukraine weitere Angriffe Russlands abschrecken. Das könnte die Ukraine kaum allein stemmen und somit wäre sie auf die Hilfe des Westens angewiesen, am besten durch Mitgliedschaften in der NATO und EU. Dafür sei ein Mentalitätswechsel notwendig, der die Wichtigkeit der NATO im Kampf gegen imperiale Mächte anerkenne.

Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev betonte die Dringlichkeit militärischer Unterstützung für die Ukraine, da sie stellvertretend für den Westen gegen ein imperiales, autokratisches Russland kämpfe. In diesem Krieg vertrete das ukrainische Militär Interessen des Westens und sei daher auf Waffenlieferungen westlicher Staaten angewiesen. 

Serap Güler MdB (CDU), Mitglied des Verteidigungsausschusses, kritisierte die Zögerlichkeit in den immer wieder aufkommenden Debatten um Waffenlieferungen in Deutschland. Klarheit und Einheit seien essentiell, um die Unterstützung der Ukraine nicht zu gefährden und die Glaubwürdigkeit der Politik zu wahren.

Prof. Dr. Gwendolyn Sasse führte an, der Westen habe sich zwar abgewöhnt, über Imperialismus nachzudenken, doch seien imperialistische Ideen und Einstellungen tief in der russischen Gesellschaft und im politischen System verankert und ein integraler Bestandteil der Machtstruktur. Es scheine so, als würde die Mehrheit der russischen Gesellschaft den Krieg in der Ukraine befürworten oder zumindest dulden. Dass die Zivilgesellschaft einen grundlegenden Wandel erzwinge sei daher unwahrscheinlich. Eine Veränderung des politischen Systems müsse daher von den russischen Eliten heraus geschehen, so Prof. Dr. Sasse. 

Zuletzt gingen die Expertinnen und Experten des Panels auf den anstehenden Wahlkampf in den USA und eine mögliche Wiederwahl Trumps ein. Eine zweite Präsidentschaft Trumps würde das transatlantische Bündnis sowie die Unterstützung der Ukraine gefährden. In einem solchen Fall müsste Europa sich neu aufstellen, um weiterhin Unterstützung für die Ukraine gewährleisten zu können.

Panel 2: Der Terrorangriff der Hamas gegen Israel und die Folgen

Das zweite Panel wurde von Werner Sonne moderiert und behandelte den Terrorangriff der Hamas auf Israel mit seinen weitreichenden Folgen. 

Die Diskussion begann mit einer eindringlichen Schilderung des Terrorangriffs am 7. Oktober, genau einen Tag nach dem 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges. Major d. R. Arye Sharuz Shalicar, Sprecher der Israel Defence Forces, schilderte die Lage im Gazastreifen, wo die Hamas die Zivilbevölkerung bewusst als Schutzschilder einsetze. Er betonte, dass das israelische Militär mit Präzision vorgehe, um Zivilpersonen vor militärischen Handlungen zu schützen. 

Der Journalist Richard C. Schneider argumentierte, dass die Hamas sich nicht an geltendes Kriegsrecht halten werde, um sich operative Vorteile zu verschaffen. Der Staat Israel stehe daher vor einem großen Dilemma, weil auch ein Waffenstillstand letztlich der Hamas in die Hände spielen würde. 

Für Gitta Connemann MdB (CDU), stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag, ist dieser Krieg auch Symptom einer globalen Zeitenwende. Vielerorts habe man Israel in der Vergangenheit in Bezug auf einen möglichen Angriff aus der Nachbarschaft oder dem Iran Paranoia unterstellt. Nun hätten sich diese Sorgen jedoch bewahrheitet. Zudem zeige dieser Krieg eine neue sicherheitspolitische Achse auf, die neben dem Iran auch Russland umfasse. Das wurde zuletzt durch den Besuch von Hamas-Vertretern in Moskau illustriert. 

Dr. habil Markus Kaim, Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, erläuterte die Machtdynamiken im Nahen Osten. Zwar sei der Begriff der Multipolarität momentan populär, doch eigentlich nicht auf diese Region anwendbar. Die USA würden in Nahost die Diplomatie beherrschen und seien bereit, sich politisch, finanziell und militärisch einzusetzen, wie die diplomatische Arbeit des Außenministers Antony Blinken eindrucksvoll unterstreiche. China und Russland hingegen seien im Nahen Osten weniger involviert und eher als Störenfriede zu verstehen, die durch politische und finanzielle Unterstützung Einfluss nähmen.

Abschließend wurden mögliche Zukunftsszenarien diskutiert. Selbst eine Zerstörung der Hamas würde die Problematiken rund um den Iran, die Hisbollah und den Jihadismus nicht verschwinden lassen und die Lösung der Probleme nur in die Zukunft verschieben. Israel sehe sich jedoch nicht in der Verantwortung, die politische Zukunft des Gazastreifens zu gestalten. Strittig blieb allerdings, wie ein dort entstehendes Machtvakuum mit Blick auf eine politische Lösung gefüllt werden könne. Mit der aktuellen israelischen Regierung sei eine Zweistaatenlösung schwer vorstellbar, zumal die politische Führung der Palästinenser um Mahmud Abbas geschwächt sei. 

Panel 3: Die NATO in der Zeitenwende

Das dritte Panel »Die NATO in der Zeitenwende“ setzte sich mit den zukünftigen Herausforderungen und Perspektiven der Allianz auseinander und wurde von Dr. Jana Puglierin moderiert. Der Ständige Vertreter Deutschlands im Nordatlantikrat, Botschafter Dr. Géza von Geyr, sprach in seiner strategischen Einordnung über die aktuellen Herausforderungen, mit denen die NATO in verschiedenen Regionen konfrontiert sei. Dabei ging er nicht nur auf die Ukraine und den Nahen Osten ein, sondern erwähnte auch den Indopazifik, die Ostsee und den Balkan. Das Bündnis sollte sich angesichts der globalen Sicherheitslage neu aufstellen und kontinuierlich anpassen. Dabei müsse sich die NATO in Verlässlichkeit üben, und Abschreckung und Verteidigung wieder in das absolute Zentrum der Allianz rücken. 

Weitgehende Einigkeit bestand zwischen den Expertinnen und Experten des Panels darin, dass die Verpflichtung, 2% des BIP für Verteidigungszwecke auszugeben, ein Schlüsselelement für die Stärkung der kollektiven Verteidigungsfähigkeit darstelle. Ebenso wurde die Bereitschaft aller Mitgliedstaaten, im Bedarfsfall gemeinsam zu handeln als unerlässlich für die Glaubwürdigkeit der Allianz hervorgehoben. Der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Markus Laubenthal, kritisierte, dass Deutschland in finanziellen Fragen hinterherhinke. Die 2% seien langfristig im deutschen Verteidigungshaushalt nicht abgebildet und basierten momentan auf dem Sondervermögen. Deutschland müsse aber Planungssicherheit garantieren, um die Verlässlichkeit des Bündnisses nicht zu schwächen.

Deutschland habe überdies viel aufzuholen, um zukunftsfähig und kriegstauglich zu werden: „Es wird nur noch im Jetzt gedacht […]“, sagte Dr. Florence Gaub, Direktorin der Forschungsabteilung am NATO Defense College. Kriegstüchtigkeit würde bedeuten, einsatzfähige und voll ausgestattete Streitkräfte zu entwickeln. Dazu gehöre sowohl eine verlässliche Industrie, als auch Resilienz, in wirtschaftlicher und kognitiver Hinsicht. Kriegstüchtig zu sein sei Bestandteil einer wehrhaften Demokratie, laut Dr. Claudia Major, Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Eine Demokratie, die sich nicht von innen aushöhlen lässt, sondern nach innen und nach außen verteidigungsfähig ist.“ 

Abschließend wurde verdeutlicht, dass die NATO eine zentrale Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur spiele und weiterhin eine wichtige Stütze für die Sicherheit und Stabilität Europas darstelle. Dabei sei die Zusammenarbeit von EU und NATO von Bedeutung, um die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken und eine effektive, zukunftsorientierte Verteidigungspolitik zu ermöglichen. Die Notwendigkeit, sich den neuen Herausforderungen anzupassen und die eigenen Sicherheitsansprüche zu erfüllen, wurde als entscheidender Schritt für die Zukunft der Allianz hervorgehoben.

Panel 4: Globale Rivalität der Großmächte – Folgen für Europa

Dr. Katrin Bastian moderierte das vierte Panel »Globale Rivalität der Großmächte – Folgen für Europa«, das die sich verändernde Weltordnung, in der neue Mächte wie China, Russland und der Iran zunehmend an Bedeutung gewinnen und eine strategische Neuausrichtung Europas und der westlichen Welt erfordern, behandelte.

In seiner strategischen Einordnung ging Oberst i. G. Dr. Frank Hagemann auf einen erneuten strategischen Wettbewerb der Systeme ein, der die internationale Sicherheitspolitik in den kommenden Jahren stark prägen würde. Die heutige Situation sei mit einem wirtschaftlich erstarkten globalen Süden, antiwestlichen Narrativen und einem Spektrum an verschiedenen Interessen und Weltvorstellungen vielschichtiger geworden. 

Obwohl sie eine antiwestliche Achse bilden, verfolgten Russland und China auch unterschiedliche Interessen, laut Oberst i. G. Hagemann. So hätte sich China zwar der antiwestlichen Rhetorik Russlands angeschlossen, sei aber trotzdem mit der Unterstützung Russlands im Krieg gegen die Ukraine vorsichtig. Um westliche Sanktionen zu vermeiden, bleibe Beijing in bestimmten Fragen zu der Ukraine und dem Nahen Osten bewusst vage, erläuterte Helena Legarda, Lead Analyst beim Mercator Institute for China Studies.

Davon abgesehen sehe sich der Westen mit mehreren Bedrohungslagen konfrontiert und die USA seien auf die Unterstützung Europas angewiesen, welches laut Oberst i. G. Hagemann mehr Verantwortung übernehmen müsse. Dem stimmte Dr. Fritz Felgentreu, ehemaliger SPD-Abgeordneter im Bundestag, zu: ein starkes und geeintes Europa könne die USA in sicherheitspolitischen Fragen entlasten. Die eigentliche Zeitenwende bestehe darin, dass Deutschland sich angesichts dieser veränderten Dynamiken neu austarieren und seine Rolle definieren müsse, so Felgentreu. Ein Mentalitätswechsel in der Gesellschaft müsse folgen, damit Deutschland sich um seine eigene Sicherheit sorgen könne. Gunnar Wiegand, ehemaliger Abteilungsleiter im Europäischen Auswärtigen Dienst, wiederum betonte die Anpassung der EU-Beziehungen zu globalen Akteuren wie China, um Europas wirtschaftliche und sicherheitspolitische Position zu stärken. Dies beinhalte die Überprüfung und mögliche Reduzierung von Abhängigkeiten, wobei ein ganzheitlicher Ansatz wichtig sei, der militärische, sowie wirtschaftlich-politische Ansätze umfasst.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Nicolas Fescharek

Referent
Dorotheenstraße 84 · 10117 Berlin
030 20649-134
030 20649-136

Dario Weilandt

Content Manager · Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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