Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

Ausgabe 15: Roderich Kiesewetter MdB

Ohne militärische und zivile Reserve schaffen wir keine Resilienz

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Als in Irpin, einem Vorort von Kiew, der Sturm auf die Hauptstadt der Ukraine verhindert wurde, gelang dies den ukrainischen Soldaten und Freiwilligen gegen eine 12-fach überlegene russische Armee. Befehlshaber in Irpin war der Bürgermeister, der zuvor wie viele andere Bürgermeister in der Ukraine eine militärische Ausbildung erhalten hatte. Auch die ukrainische Bevölkerung zeigt eine in Deutschland nicht bekannte Resilienz. Seit 2014 befindet sich die Ukraine im Krieg, die Bevölkerung ist vorbereitet, es gibt eine große Bereitschaft und Entschlossenheit der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, das eigene Land militärisch oder zivil zu verteidigen, sowie einen beeindruckenden Willen, direkt zum Wiederaufbau überzugehen. Die ukrainische Bevölkerung hat sich als sehr resilient erwiesen und strategisch vorausschauend auch im Staat Strukturen geschaffen, die diese Resilienz befördern. Dazu kommt ein Präsident, der das Land geeint hat, Entschlossenheit und Führungsstärke bewies. Wie sich Resilienz zeigt, hängt also auch vom Staat und der Staatsführung ab.

Gesamtstaatliche Resilienz betrachtet nicht nur die Widerstandsfähigkeit und Leidensfähigkeit der Bevölkerung – die Frage wie geht man mit Extremsituationen, Krieg oder Pandemien um – sondern auch die Seite des Staates. Wie geht der Staat, also Exekutive und Verwaltung damit um? Welche Strukturen gibt es und wie wirken diese im Extremfall? Resilienz ist deshalb auch ein Prozess, in dem Personen auf Probleme und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren. Dieser Prozess umfasst: Auslöser, die Resilienz erfordern, Ressourcen, die Resilienz begünstigen und Lerneffekte; also was lernt der Staat als Gebilde aus Situationen und wie passt er sich strategisch vorausschauend an?

Deshalb ist es für die Resilienzsteigerung wichtig, Lehren und Schlüsse aus Erfahrungen zu ziehen. Wir leben in einer Gleichzeitigkeit von Krisen, die zum Teil Kettenreaktionen auslösen: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg in der Ukraine, die Sicherheitsbedrohung durch Russland in Europa, das Auslösen einer globalen Ernährungskrise, Lehren aus dem übereilten Afghanistan-Abzug, der Klimawandel, Migrationsbewegungen, die Pandemie und die Instabilität und Abhängigkeit von Lieferketten. Für Deutschland muss die Lehre sein: wir brauchen eine umfassende sicherheitspolitische Wende, eine neue sicherheitspolitische Kultur!

Sicherheit kann nicht eindimensional gedacht werden, sondern muss ganzheitlich betrachtet werden. Einerseits benötigen wie also eine modern ausgestattete und voll einsatzbereite Bundeswehr, die Deutschland verteidigt und unsere Bündnisverpflichtungen erfüllt. Gleichzeitig muss ein moderner Zivilschutz und wirksamer Bevölkerungsschutz wirken. Eine professionelle zivile Verteidigung ist in Deutschland nicht vorhanden, auch da sind wir blank. Unser Katastrophenschutz ist gut, beruht aber vorrangig auf ehrenamtlichen Strukturen, die angesichts des demographischen und des Gesellschaftswandels auf limitierte personelle Ressourcen treffen. Neue Herausforderungen wie Cyberangriffe auf Kritische Infrastrukturen, klimabedingte Krisen, Dürren oder Pandemien erfordern zudem neue Fähigkeiten im Bereich der zivilen Verteidigung.

Zu einem modernen Zivilschutz gehört der beschleunigte Auf- und Ausbau strategischer Reserven z.B. für Notstrom, Trinkwasser, medizinisches Material und Schutzräume. Schutzräume oder Bunker gibt es in Deutschland aktuell kaum mehr. Zur Steigerung gesamtstaatlicher Resilienz muss die Zivile Verteidigung mit einem Investitionsprogramm inklusive Personalzuwächse gestärkt werden, über 10 Mrd. Euro in den kommenden 10 Jahren, wie es u. a. das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) fordert.

Aber nicht nur Infrastruktur, auch der Aufbau einer vernetzt einsetzbaren professionalisierten zivilen wie militärischen Reserve zur Unterstützung der Gesellschaft besonders in Krisenlagen sind geboten. Diese aufzubauen dauert Jahre. Deshalb ist ein kluger Aufbauplan mit konkreten Umsetzungsschritten sinnvoll. Wie diese Reserve entstehen könnte wird derzeit auch im Rahmen der Diskussion eines Pflichtdienstes oder eines ausgeweiteten Freiwilligendienstes diskutiert.

Mein Lösungsansatz hierfür ist die Schaffung von Gesellschaftsunterstützungskräften (GUK). Dazu müssen keine völlig neuen Strukturen geschaffen, sondern bereits vorhandene Strukturen gestärkt und weiterentwickelt bzw. modernisiert werden. Bereits vorhandene zivile und militärische „Reservestrukturen“ sollten genutzt werden, um dadurch nicht nur das gesellschaftliche Leben resilienter zu machen und das nötige Personal für Krisensituationen bereit zu halten, sondern zudem durch Wertevermittlung insgesamt zum Zusammenhalt der Gesellschaft beizutragen. Dies sollte auch das Narrativ prägen. Die GUK sollten hierbei für künftige Krisen im Rahmen des Bevölkerungsschutzes eingesetzt werden. Hier sind auch neue Krisenformen berücksichtigt, wie Pandemien oder Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. GUK würden aus THW, Blaulichtorganisationen und der Territorialen Reserve bestehen, die ohnehin bereits vorhanden sind. Allerdings könnte eine Anpassung des Art. 35 GG und der Folgegesetzgebung erforderlich werden, also die Modernisierung des Staates. Auf Bundesebene könnte das BBK als Leitorganisation eingerichtet werden, um GUK im zivilen Bereich, das THW als Körperschaft öffentlichen Rechts und die Blaulichtorganisationen im Pandemie-/Katastrophenfall zu führen und bundesweit zu koordinieren.

Für die Schaffung einer militärischen Reserve gilt es, die Reserve zu professionalisieren und eine Körperschaft öffentlichen Rechts vergleichbar mit dem THW aufzubauen, die an das Kommando Territoriale Aufgaben auf Bundesebene und an die Landeskommandos auf Landesebene angegliedert wird. Diese Kräfte könnten aus dem hauptamtlichen Personal des Reservistenverbandes in diese Körperschaft ö.R. und aus dem Ehrenamt ins Hauptamt überführt werden. Die GUK selber wären neben o.g. zivilen Kräften zusätzlich aus der Territorialreserve, der Truppenreserve und geeigneten bisherigen ehrenamtlichen Reservisten gebildet. Somit ergibt sich eine resilientere Struktur über mehrere Stufen, die kaskadenartig je nach Katastrophen- oder Pandemielagen wirksam werden könnte. Personal für die zivile/militärische Reserve könnte dabei einerseits über einen zu definierenden freiwilligen oder Pflichtdienst gewonnen werden. Synergieeffekte brächte es jedoch, weiterhin auf das Prinzip Freiwilligkeit zu setzen. Über gezielte Anreize für Freiwillige (credit points, Rentenpunkte, finanzielle Anreize, gesellschaftliche Anerkennung etc.) sollte freiwilliges Engagement im Blaulicht, Pflegebereich oder bei der Bundeswehr, wie auch im Bereich der GUK gefördert werden. Durch Einbeziehung aller gesellschaftlichen Schichten, von Migranten, Asylbewerbern bis zum Bildungsbürgertum wäre dies zugleich eine Maßnahme im Sinne der Integration, Deradikalisierung und Weiterqualifizierung sowie der gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft. Damit wäre die Schaffung einer zivilen und militärischen Reserve ein maßgeblicher Beitrag zur Steigerung der Resilienz in Deutschland.

Sechs weitere Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz und für die Krisenprävention müssen betrachtet werden, die die Ressourcen und Lerneffekte wie anfangs erwähnt berücksichtigen.

Zu einer strategischen Kultur und einer resilienten Gesellschaft gehört eine gestärkte Eigenvorsorge der Bürgerinnen und Bürger. Kinder und Jugendliche könnten schon von klein an in Krisenvorsorge geschult und Katastrophenübungen sollten regelmäßig durchgeführt werden, um so ein frühes Bewusstsein für eine resiliente Reaktion in Krisensituationen zu schaffen. Die Modernisierung des Staates mit seiner Verwaltung, Digitalisierungsmaßnahmen und die angepasste Ausstattung von Sicherheitsbehörden gehören dazu. Die Sichtbarkeit und Wahrnehmbarkeit unseres Sicherheitspersonals genauso wie eine strategische Kommunikation gegenüber der Bevölkerung müssen Bestandteil der Modernisierung sein. Die Regierung darf in Krisenzeiten keine Panik schüren, sondern muss nüchtern, sachlich und zuversichtlich kommunizieren, die Bevölkerung auf neue strategische Herausforderungen vorbereiten. Die Ausbildung und Bildung von Bürgerinnen und Bürgern für die militärische und zivile Reserve, für die Schaffung von GUK muss an neue Erfordernisse angepasst werden. Um langfristig die erforderliche Manpower zu erreichen, bedarf es einer Einwanderungsstrategie, die den Fachkräftebedarf angesichts des demografischen Wandels nachhaltig abbildet. Sicherheit nach außen muss gestärkt werden, damit die Bundeswehr glaubhafte Landesverteidigung leisten und Bündnisverpflichtungen einhalten kann. Deshalb ist das 100 Mrd-Sondervermögen wie auch das dauerhafte Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels absolut notwendig. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, dass für ein resilienteres Deutschland zudem die Rohstoffabhängigkeit reduziert und Lieferketten diversifiziert werden müssen, damit wir wirtschaftlich robuster sind und angesichts der Vernetzung in der EU glaubwürdig zu einer europäischen Resilienz beitragen.

Ein Beitrag von:

Roderich Kiesewetter MdB

Sprecher für Krisenprävention der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums

Roderich Kiesewetter ist Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU) und Oberst a.D. der Bundeswehr. Seit 2009 ist er direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Aalen – Heidenheim. Er ist seit 2014 Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss und war von 11/2020 bis 03/2022 Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, wo er nun stv. Vorsitzender ist. Er ist ordentliches Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. 2022 wurde er zum Sprecher für Krisenprävention der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewählt. Er ist Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss (Notparlament). Im Mai 2022 wurde Roderich Kiesewetter in den Vorstand der Deutschen Atlantischen Gesellschaft gewählt.

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