Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

Stabilisierung im Sahel

Ausgabe 48: Florence Schimmel

Deutschland braucht ein eigenes Ohr an der Zivilgesellschaft

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Deutschland stellt sich dem Anspruch, Verantwortung für Frieden und Sicherheit zu übernehmen – für sich selbst wie für andere. Dabei ist aktives Engagement von zentraler Bedeutung. Im Sahel ist dies nach den Putschen, insbesondere in Mali (2020 und 2021) und Niger (2023), dem Auftreten Russlands und angesichts der schlechten Sicherheitslage eine Herausforderung. Entscheidend ist hier eine strategische Vorbereitung für kommende Handlungsfenster.

Von guter Zusammenarbeit zu schwierigem Auskommen

Der Sahel hat in den letzten zehn Jahren zunehmend Aufmerksamkeit und Ressourcen der deutschen Außenpolitik erhalten. Die Eindämmung von Terrorismus, der Rückgang von Migration, geopolitische Einflussnahme sowie Allianzbildung gegen Russland und China sind einige der prominentesten Interessen in der Region. Die wertegeleitete Außenpolitik nennt darüber hinaus etwa den Einsatz für Frieden und Demokratie, die Verteidigung der Menschenrechte, die Minderung von Leid und die Verbesserung von Lebensbedingungen, auch als Folge des Klimawandels, als zentrale Motivatoren.

Der Putsch in Mali im August 2020 wurde von der internationalen Gemeinschaft noch fast wie eine Chance für einen Neuanfang im dortigen Friedensprozess gehandelt. Der „Putsch im Putsch“ in Mali im Mai 2021 sowie die Putsche in anderen westafrikanischen Ländern wie Burkina Faso und Tschad haben diese Zusammenarbeit kompromittiert. Sie führten zu deutlich autoritäreren Regimen, die mit den bisherigen gemeinsamen Strategien für nachhaltigen Frieden und Sicherheit brachen. Die Militärregime haben die Kooperationen mit internationalen Partnern entsprechend umgeschichtet. Beispielsweise ließ die malische Junta im Juni 2023 die UN-Mission beenden. Außerdem wurden französische Truppen des Landes verwiesen und das russische Afrika-Korps (belasteter neuer Name der ehemaligen Wagner-Gruppe) eingeladen, mit der malischen Armee terroristische Gruppen zu jagen. Ähnliche Vorgänge gab es in Niger, wo nach dem Putsch im Juli 2023 sukzessive unter anderem die EU-Mission und die US-Drohnenbasis aufgekündigt wurden und nun russische „Militärberater“ in Niamey eintrafen (die interessanterweise Systeme zur Luftverteidigung im Gepäck gehabt haben sollen, welche für den Antiterrorkampf unbrauchbar wären und stattdessen bei der Abwehr eines Angriffes von außen helfen würden).

Diese Veränderungen begründen die Putschisten jeweils damit, dass das vorherige internationale Engagement die Situation für die Bevölkerung nicht wesentlich verbessert habe. Dafür finden sie viel Zuspruch bei ihren Bevölkerungen. Die internationalen Missionen und Projekte haben zwar oftmals punktuell und im Rahmen ihrer Mandatierungen durchaus positive Wirkung entfalten können, dies blieb jedoch isoliert und kam im Doppelpack mit postkolonial anmutendem Auftreten. So konnten die Putschisten die Lage erst in Mali und dann in angrenzenden Ländern, zusätzlich unterstützt von Desinformationskampagnen, für sich nutzen.

Für Deutschland und seine europäischen und transatlantischen Partner ist die Zusammenarbeit indes schwieriger geworden. Man möchte ungern mit nicht verfassungsgemäßen Militärregimen zusammenarbeiten, die Zusammenarbeit mit anderen Partnern mit fragwürdigen menschenrechtlichen Standards billigen und das Einstehen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ad absurdum führen. Gleichzeitig bleiben jedoch viele Interessen in der Region bestehen. Diese Interessenslage ist vielschichtig und es ist bisher unklar, wie der weitere Weg aussehen kann.

Die Rolle Deutschlands und seiner Partner zwischen Anspruch und Realität

In Mali hat Deutschland aus Solidarität für und Partnerschaft mit Frankreich seinen zeitweise größten Auslandseinsatz der Bundeswehr durchgeführt und in zivilen Projekten mehrere hundert Millionen Euro für Stabilisierung und Entwicklung ausgegeben. Die USA richteten 2016 für 100 Millionen US Dollar eine Drohnenbasis zur Unterstützung der Terrorismusbekämpfung ein und die EU setzte mehrere Missionen auf, welche die Kapazitäten der Streitkräfte und Polizei erhöhen sollten. Da die Herausforderungen oft transnational waren, breitete sich der Ansatz, vornehmlich dessen zivile Anteile, auf viele Staaten des Sahel und seiner Nachbarn aus. Aufgrund zunehmender Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Mali, welche durch starke Spannungen mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich geprägt war, wurde Niger zum Schwerpunkt insbesondere des deutschen Engagements. Daher hat der dortige Putsch die deutsche Außenpolitik besonders getroffen, weil man viele Erwartungen in die künftige Zusammenarbeit mit diesem letzten demokratischeren Partner in der Region gesetzt hatte.

Wie sehr ausbleibendes Handeln Deutschland und seinen Partnern tatsächlich schaden würde, ist schwer abzuschätzen. Dies hängt sicherlich auch von den Entwicklungen vor Ort ab und davon, ob sich die Sicherheitslage verbessert, die Putschregime sich konsolidieren und wie die Bevölkerung darauf blickt. Dies ist auch maßgeblich dafür, wie hoch die moralische Verpflichtung wäre, sich für die Menschen vor Ort, ihre Lebensgrundlagen und Rechte, einzusetzen. Dabei ginge es jedoch nicht nur um die genannten Interessen, sondern auch um Reputation und Glaubwürdigkeit. Unter dem rhetorischen Schirm der erweiterten Nachbarschaft wurde über die Jahre ein Narrativ aufgebaut, das die Vorgänge im Sahel eng an Deutschlands Interessen und Werte knüpfte. Und auch im Zuge der „Zeitenwende“ ist internationales Krisenmanagement von hoher Bedeutung. Es ist ein Fehlschluss zu glauben, man könne stärkere Landes- und Bündnisverteidigung von weiter entfernten Konflikten trennen, in denen geopolitische Antagonisten ihre Vorteile suchen. Ein Land, das für sich beansprucht einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erhalten, sollte sich hier nicht auf eine reine Beobachtungsrolle zurückziehen und es Russland widerstandslos erlauben, zusätzlich zum Vorgehen in der Ukraine noch weitere Ressourcenraubzüge durchzuführen und weitere Allianzen gegen den Westen zu schmieden.

Das Konzept der Stabilisierung erhebt weiterhin den Anspruch, das passende Instrument für volatile Konflikte und bei fragiler Staatlichkeit zu sein. Jede Handlung ist mit hohen Risiken verbunden, ein häufiges Scheitern wahrscheinlicher, als dass Kalkulationen mehrfach aufgehen. Dennoch in diesen Situationen handlungsfähig, krisenresistent und gefragter Partner zu sein, ist das, was eine sicherheitspolitische Gestaltungsmacht auszeichnet. Daher wird die Bundesregierung gerade mit ihrem Vorgehen im Sahel zeigen, ob sie fähig ist, internationales Krisenmanagement und sicherheitspolitische Werte und Interessen zu verfolgen.

Nicht nur Frankreich hat enorme Reputationseinbußen hinnehmen müssen. In den Augen der Putschisten und großen Teilen der Bevölkerung haben die Interventionen der letzten zehn Jahre keine nennenswerten Fortschritte erzielt, welche die Präsenz der internationalen Partner weiter rechtfertigen. Deutschland ist hier zwar keine ehemalige Kolonialmacht und wird in vielen ländlichen Regionen von der Bevölkerung geschätzt. Stellt man jedoch die Putschregierungen vor die Wahl „Russland oder wir“, dann ist klar, dass Deutschland und seine Partner das Nachsehen haben.

Zusammenarbeit mit Putschregimen

Die Putschregierungen fordern die Souveränität ihrer Staaten nun konsequent ein und tun dies auf eine für Deutschland und seine Partner ungekannte Weise. Künftige Zusammenarbeit hat somit zur Voraussetzung, dass sie für beide Seiten attraktiv ist – und das im Wettbewerb mit anderen Staaten, die weniger Fragen und Bedingungen stellen. In manchen Aspekten kann Deutschland diesen Wettbewerb nur verlieren und sollte sich daher darauf konzentrieren, wie man verlieren möchte, also wie es seine vergangene und künftige Rolle rhetorisch präsentiert.

Selbstverständlich wird in vielen Portfolios umgeschichtet und darüber nachgedacht, wie andere Ansätze für die Küstenstaaten der Region aussehen können; ob (und falls ja, wie) vorhandene Institutionen wie die stark angeschlagene Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, einst eine effektive und angesehene Regionalorganisation, gestärkt werden könnten; wie die stets hohen Risiken besser diversifiziert werden können als in Niger; und wie man bei demokratischeren Partnern in der Region die Resilienz gegen autokratische Entwicklungen unterstützen kann.

Es bleibt jedoch die Frage, wie genau mit beispielsweise der nigrischen Junta umgegangen werden kann. Waffenlieferungen und das Entsenden von Söldnern an das nigrische Régime, wie sie Russland unlängst praktiziert hat, stehen außer Frage. In anderen Bereichen gibt es höchstwahrscheinlich keine Nachfrage für Dinge, die Deutschland gerne anbieten würde, wie z.B. demokratiefördernde Projekte. Zumal die Gefahr bestünde, dass diese zum Feigenblatt verkommen könnten, mit dem sich zunehmend autoritäre Militärregime schmücken können.

Es ist wichtig, lokale Akteure wirklich verstehen zu lernen und so die Zeit bis zu dem Punkt zu überbrücken, an dem Entwicklungen einsetzen, welche positive Veränderungen möglich machen. Denn für tatsächliche und nachhaltige Veränderungen müssen zum entscheidenden Zeitpunkt verschiedene Variablen günstig zueinanderstehen. Dies ist kein leichtes Unterfangen in einem volatilen und komplexen Konfliktgebiet und erklärt in Teilen die Fehlschläge der Vergangenheit.

Um etwaige künftige Handlungsmomente größtmöglich nutzen zu können, sollten Kontakte auf verschiedenen politischen Ebenen ausgebaut werden, nicht nur mit der Zivilgesellschaft. Denn Deutschland hat Mali zwar als erstes Land nach seiner Unabhängigkeit anerkannt. Dennoch war man auf französische Netzwerke angewiesen, hatte kein eigenes Ohr an der vielfältigen und im Abstrakten so hoch gelobten Zivilgesellschaft und hatte oftmals einen verengten Blick auf die Hauptstadt. Wissen, das z.B. bei Umsetzungsorganisationen vorhanden war, hat es oft nicht rechtzeitig in die politischen Kanäle geschafft. Hier strategisch zu investieren wird sich nicht nur in der langen Frist auszahlen, um im passenden Moment Kooperationen stärken und ausbauen zu können. Es ist auch ein Beginn, den Menschen tatsächlich auf Augenhöhe begegnen zu können, wie es die politischen Ansätze eigentlich verlangen. Und zu lernen, mit unliebsamen Regimen umzugehen und nicht ausmanövriert zu werden.

Klassische Stabilisierung würde direkt an der Stärkung der staatlichen Kapazitäten insbesondere bezüglich des staatlichen Gewaltmonopols ansetzen und ist in dieser Art zum jetzigen Zeitpunkt unpassend. Daher böten sich theoretisch Projekte im Übergangsbereich zur Entwicklungszusammenarbeit an, die dadurch jedoch politisiert würden – und auch letztendlich die Militärregime stärken. Erfolge beispielsweise im gesundheitspolitischen Sektor erhöhen die Legitimität der Herrschenden, auch wenn die Intentionen andere sind. Ebenso gilt es bei wirtschaftlichen Anreizen für Risikogruppen, ihrer Rekrutierung in gewaltbereite Gruppen vorzubeugen. Dennoch dienen sie auch dem Zweck, die Menschen zu unterstützen und gleichzeitig Kontakte zu Behörden zu pflegen. Dabei sollte man jedoch nicht annehmen, dass die grundlegenden Konfliktursachen hiermit adressiert würden. Dies stünde hier jedoch auch nicht im Vordergrund, weil man anerkennen würde, dass eine solche Zusammenarbeit zu diesem Zeitpunkt nicht möglich ist. Ein autoritäres Militärregime bleibt ein autoritäres Militärregime und sollte als solches benannt, die Rückkehr zur Demokratie weiter gefordert werden. Stattdessen sind die Projekte jedoch eine Möglichkeit, Personal im größeren Stil für lokale Sprach‑, Konflikt- und Kulturkenntnisse zu qualifizieren.

Russlands Einfluss und militärische Präsenz sind bereits eine Realität. Auch wenn sich eine Betrachtung der politischen Ökonomie der Akteure immer lohnt, ist es unwahrscheinlich, hier Russland „ausbieten“ zu können, selbst wenn man es wollte. Den Putschisten gefällt es, ihre Partnerschaften zu diversifizieren und es ist für sie ein naheliegendes Vorgehen, ihre Karten auszureizen. Wenn man dem keine Kooperation zur Seite stellen möchte bleiben humanitäre Hilfe, um die Bevölkerung vor Ort zu unterstützen sowie diplomatische Appelle. Dies kann für die deutsche Außenpolitik komfortabler sein, beinhaltet jedoch keinen aktiven Versuch, auf andere Entwicklungen hinzuwirken und sich auf diese vorzubereiten. Nur durch fleißige Vorbereitung können künftige Handlungsfenster frühzeitig erkannt und gestaltet werden. Die Putsche der Vergangenheit haben Deutschland überrascht und fast unvorbereitet mit dem neuen Unbekannten konfrontiert. Den Veränderungen in der Zukunft sollte Deutschland mit Wissen, gestärktem Netzwerk und darauf basierender Schaffenskraft begegnen.

Ein Beitrag von:

Florence Schimmel

Research Fellow, Zentrum für Sicherheit und Verteidigung der DGAP
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