Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.

Zwei Jahre Zeitenwende – Wirkungen und Perspektiven für die Bundeswehr

Am 16.10.2024 hielt der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Herr General a.D. Eberhard Zorn, im Forum Mainz einen Vortrag zum aktuellen Stand der globalen Sicherheitspolitik und der Umsetzung der Zeitenwende.

Er konnte berichten, dass inzwischen alle der mehr als 50 im 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen geplanten Projekte vertraglich fixiert sind. Dies war auch durch das Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz ab Sommer 2022 möglich, welches durch Nutzung der EU-rechtlichen Möglichkeiten die Vergabeprozesse um bis zu 10 Monate beschleunigte. Je nach Projekt und Industriekapazität wird das neue Material ab nächstem Jahr beginnend bis in die Jahre 2030 bis 2035 der Truppe zufließen. Über den Materialaufwuchs hinaus muss auch in erheblichem Maße Munition zusätzlich beschafft werden, um die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr sicherzustellen. Materiell sind die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet und bedürfen nun der nachhaltigen Finanzierung und Projektbegleitung.

Als Folge der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie vom Sommer 2023 wurden durch die zuständigen Ministerien weitere Folgestrategiepapiere erarbeitet, so auch die Verteidigungspolitischen Richtlinien, denen dann in Kürze eine neue Militärstrategie für die Bundeswehr folgen wird.  Sicherheit für Deutschland wird in allen Dokumenten als integrierte Sicherheit verstanden, incl. Innerer Sicherheit, Cybersicherheit, Klimafolgenschutz und Sicherheit im Weltall.

Allerdings definieren diese Strategiepapiere keine klaren Zeitziele oder weisen den einzelnen Maßnahmen die erforderlichen Finanzmittel konkret zu. Diese Aufgabe obliegt den jeweiligen Ministerien. Auch für die Bundeswehr stellt sich die Frage, wie es nach dem Auslaufen des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens nach 2027/28 weitergehen soll, wenn der Mittelbedarf des regulären Verteidigungshaushalts von rd 51 Mrd. € auf rd 80 Mrd. € steigen muss. Gerät muss auch betrieben und zusätzliches Personal bezahlt werden. Die dafür erforderlichen Haushaltsmittel müssen im regulären Haushaltstitel bereitgestellt werden.

Die Ukraine ist weiterhin motiviert, ihre Freiheit gegen den russischen Angriffskrieg entlang einer 1400 km langen Front zu verteidigen, obwohl Russland weiter angreift und massiv zivile Ziele und kritische Infrastruktur unter Feuer nimmt. Putins Ziele gehen jedoch weit über die Ukraine hinaus. Sein Fernziel ist es, Europa von den USA zu trennen, die Vorherrschaft über Europa zu erlangen und den Westen zu schwächen. Daher arbeitet er mit anderen autoritären Regimen wie dem Iran, Nordkorea und auch China zusammen, die Russland in dieser Absicht unterstützen.

Russland hat seine Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt und vergrößert seine Armee. Nach westlichen Studien hat Russland bis 2026 auch noch genügend Finanzmittel zur Kriegführung. Die Sanktionen gegen Russland und seine Verbündeten wirken nur langsam und erfordern einen langen Atem der Ukraine und der westlichen Unterstützer. Russland wird aus dem Ukraine-Krieg insgesamt gestärkt hervor gehen, so die aktuellen Einschätzungen.

Die NATO ist durch die Beitritte von Finnland und Schweden stärker geworden und hat mit der Einführung des sog. New Force Modell die Weichen gestellt, um die Abschreckung auf neue Grundlagen zu stellen und so der russischen Bedrohung in allen Dimensionen etwas entgegenzusetzen. Das Verteidigungsbündnis hat an Geschlossenheit und Stärke gewonnen. Leichte Kräfte werden im Rahmen der sog. Allied Reaction Force mit höchster Verfügbarkeit bereitgehalten, um sie im Bedarfsfall an die NATO-Flanken verlegen zu können.

Derzeit baut Litauen die Infrastruktur als Voraussetzung für die dauerhafte Stationierung der künftigen Brigade der Bundeswehr, die ab 2025 bis 2027 dort ihre volle Einsatzbereitschaft herstellen wird.

In Europa haben sich inzwischen 22 Staaten zu einer gemeinsamen Luftverteidigung zusammengeschlossen, die von Bundeskanzler Scholz als European Sky Shield Initiative (ESSI) ins Leben gerufen wurde.

Auch im Nahen Osten ist Deutschland erheblich gefordert. Israel wird durch Deutschland materiell unterstützt, gleichzeitig ist die Bundeswehr unverändert an der UN-Mission im Libanon (UNIFIL) beteiligt.

Aus der Bedrohungslage ergeben sich neue Forderungen an die Bundeswehr und ihren Einsatzbereitschaftsgrad. Wie im kalten Krieg müssen künftig alle Kräfte ständig einsatzbereit sein. Zudem muss eine Reserve zur Heimatverteidigung aufgebaut werden, um die Durchhaltefähigkeit zu erhöhen. Dazu werden ausscheidende Soldaten weiter im Blick gehalten werden müssen, aber auch Firmen müssen bereit sein, Arbeitskräfte für Reservedienstleistungen freizustellen.

Die große Herausforderung für die Bundeswehr insgesamt stellt die Gewinnung weiteren Personals dar, um das Ziel einer Gesamtstärke von 203.000 Soldaten und den Aufbau einer Reserve von 260.000 Reservisten, davon 60.000 in einer Beorderung,  zu erreichen.

Weitere Forderungen werden auf uns zukommen: Die NATO will die Anzahl der verfügbaren Brigaden von heute 82 auf 131 steigern. Hier wird Deutschland seinen Anteil beisteuern müssen. Das wiederum bedingt mehr Personal, Material und Infrastruktur – und damit weitere Finanzmittel, die in der Zukunft aufzubringen sind. Rund 80 Mrd Euro sind infrastrukturell in den nächsten 20 Jahren erforderlich, um Neubauten, Bauunterhalt und Investitionen in die energetische Sanierung zu finanzieren. Man darf also gespannt sein, wie diese Mehrforderungen in die aktuellen Haushaltsverhandlungen einfließen und sich in der Mittelfristigen Finanzplanung des Bundes abbilden lassen.

Der Wiederaufbau des Kerns einer Wehrersatzorganisation ist inzwischen angewiesen worden. Auch wenn es derzeit nicht nach einer politischen Mehrheit für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht aussieht, so soll wenigstens eine Erfassung der infrage kommenden Männer und auch Frauen erfolgen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Lage ernst ist, dies in der Bevölkerung auch wahrgenommen und nun die schnelle Umsetzung der eingeleiteten Maßnahmen erwartet wird. Von den politisch Verantwortlichen wird erwartet, dass diese die Lage und deren Folgen für Bundeswehr und Gesellschaft besser erklären. 

Zu Gast:

General a. D. Eberhard Zorn

Generalinspekteur der Bundeswehr (bis April 2023)
Weitere Informationen erhalten Sie von:

Michael Simon

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